Süddeutsche Zeitung

Radikale Rechte:Die AfD ist kein Betriebsunfall der deutschen Demokratie

Lesezeit: 2 min

Rezension von Tanjev Schultz

Der Erfolg der AfD kommt nicht aus dem Nichts. Nationalistische und rechtsextreme Bewegungen waren in Deutschland nie verschwunden, auch nicht in der DDR.

Die gern erzählte Erfolgsgeschichte vom stabilen, sensiblen Rechtsstaat, der seine Lehre aus dem Nazi-Regime gezogen hat, ist mindestens unvollständig, wenn sie die Penetranz völkischer und rassistischer Umtriebe ausblendet. Schlussstrich-Rufer gab es zu allen Zeiten. Rechten Terror auch.

In einem lesenswerten Buch rollen Historiker der Universität Jena die trüben Seiten der deutschen Geschichte nach 1945 auf. Die Wissenschaftler hyperventilieren nicht.

Das Gerede der Gegenwart verliert durch die abgeklärte historische Perspektive ein Stück seiner Kraft

Sie suggerieren nicht, Berlin sei Weimar. Sie leugnen nicht die erreichte zivile Ordnung. Aber sie zeigen die Rückfälle und Widersprüche in dieser Ordnung - und die erschreckende Kontinuität in den Angriffen von rechts.

Das Buch schlägt einen Bogen von der unvollkommenen Entnazifizierung zu den vielen Versuchen, die Vergangenheit abzuschütteln oder den Holocaust rundheraus zu leugnen.

Es rekonstruiert die Höhenflüge der NPD in den Sechzigerjahren, den Türkenhass und die Ausländerfeindlichkeit der Siebziger- und Achtzigerjahre und die brutalen Pogrome nach der Wiedervereinigung.

Vieles davon ist im Prinzip bekannt, den Autoren gelingt es aber, die Geschichte so zu ordnen und zu verdichten, dass klar wird: Die AfD ist kein Betriebsunfall der deutschen Demokratie. Sie ist Ausdruck tiefsitzender, nicht überwundener Konflikte und Mentalitäten.

Jüngere Provokationen wie Alexander Gaulands "Vogelschiss"-Rede oder Alexander Dobrindts Aufruf zu einer "konservativen Revolution" werden in dem Buch gut eingeordnet. Das Gerede der Gegenwart mag seine Dummheit oder Perfidie behalten, durch die abgeklärte historische Perspektive verliert es immerhin seine vermeintliche Originalität - und ein Stück seiner Kraft.

Der DDR und ihrem zur Schau getragenen Antifaschismus attestieren die Autoren einen instrumentellen, wenig differenzierten Umgang mit der Geschichte. Das "Volk" sei in der DDR ein national und ethnisch aufgeladenes Konzept geblieben. Dazu sei im Schatten der offiziellen Rhetorik ein "kleindeutscher Regionalismus" getreten, dessen Heimatliebe die neue Rechte nun ausschlachtet.

Auf beiden Seiten der Mauer sei in den Achtzigerjahren "ein gefährlicher Mix von politisch forcierter Integrationsabwehr und einem selbstermächtigten Ausländerhass entstanden". In den Neunzigerjahren brach sich dieser Hass dann, angeheizt durch die damalige Asyldebatte, weiter Bahn.

Die Autoren verfolgen die unterschiedlichen Entwicklungspfade in BRD und DDR, zeigen und betonen jedoch auch das Zusammenwirken ost- und westdeutscher Prozesse und vermeiden so einen belehrenden Fingerzeig von der einen auf die andere Seite: "Die hitzige Asyldebatte im Westen traf auf die Tradition einer selbstermächtigten Gewalt gegen Ausländer im Osten, der etablierte Rechtsradikalismus auf eine bewegungsförmige rechte Subkultur."

Der Rechtsruck verliert nicht an Schrecken, er wird besser begreifbar

Die Autoren zeigen überzeugend, dass "die vermeintlichen Randprobleme auf der Rechten die bundesdeutsche Geschichte kontinuierlicher durchzogen und stärker geprägt haben als vielfach angenommen: Ende der Vierzigerjahre hob im Westen die bis heute anhaltende Rede vom 'endlich' nötigen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit an, während man im Osten begann, diese Vergangenheit unter den großen Teppich des Antifaschismus zu kehren."

Anders als der Untertitel nahelegt, ist das Buch weniger als flammende Streitschrift angelegt denn als erklärender Essay. Die Autorenschaft auf vier Personen zu verteilen ist riskant, aber geglückt: Die Kapitel sind gut aufeinander abgestimmt und der angenehm lesbare Stil sehr kohärent.

Der Rechtsruck der vergangenen Jahre verliert durch die hier geleistete Kontextualisierung nicht seinen Schrecken. Er wird aber besser begreifbar. So kommt das Buch tatsächlich zur rechten Zeit.

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SZ vom 18.03.2019
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