Süddeutsche Zeitung

Abschiebungen:Afghanistan nennt harte Bedingungen für Rückführung von Flüchtlingen

Lesezeit: 3 min

Von Stefan Klein, Kabul

Wenn sich deutsche Minister nach Afghanistan aufmachen, dann sind das in der Regel keine Vergnügungsreisen. Für die Reise von Innenminister Thomas de Maizière, der an diesem Montagvormittag in Kabul erwartet wird, gilt dies in ganz besonderem Maße. Denn er wird dort mit seinem Anliegen, den Flüchtlingsstrom nach Deutschland zu begrenzen und abgelehnte afghanische Asylbewerber zurück in ihre Heimat abzuschieben, auf wenig Verständnis stoßen.

In den ersten drei Wochen dieses Jahres sind in Deutschland jeden Tag tausend Afghanen eingetroffen. Damit scheint sich der Flüchtlingsstrom fortzusetzen, der im vergangenen Jahr 154 000 Afghanen nach Deutschland gebracht hat. Sie stellten damit nach den Syrern die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe. Die Anerkennungsquote als Flüchtling lag bei knapp fünfzig Prozent, die Gesamtschutzquote jedoch bei 78 Prozent. Abschiebungen von Afghanen liegen seit Jahren faktisch auf Eis, im letzten Jahr waren es lediglich acht.

Von 34 Provinzen seien 31 als unsicher einzustufen, sagt der Flüchtlingsminister

Der Bundesinnenminister möchte dies ändern. Zwar wird man wohl nicht so weit gehen, Afghanistan zum sicheren Herkunftsland zu erklären, doch will die Regierung in Zukunft vermehrt abschieben und zu diesem Zweck, wie es heißt, "innerstaatliche Fluchtalternativen" nutzen. Das bedeutet, dass man Afghanen in solche Landesteile abschieben will, die in dem Bürgerkriegsland am Hindukusch noch als sicher gelten können.

Auf die Frage, ob es solche sicheren Regionen in Afghanistan überhaupt gibt, sagte der ehemalige nationale Sicherheitsberater Rangin Dadfar Spanta der Süddeutschen Zeitung, die Zahl der afghanischen Städte und Ortschaften, die man als sicher bezeichnen könne, würden "von Tag zu Tag weniger". Außerdem gebe es dort keinerlei Möglichkeiten, Menschen zu beherbergen und zu versorgen. Flüchtlingsminister Hossain Alemi Balkhi hatte unlängst 31 von 34 Provinzen als unsicher eingestuft, was britische Gerichte zum Anlass genommen hatten, Abschiebungen auszusetzen.

Bei Balkhi dürfte de Maizière das schwierigste Gespräch während seiner Afghanistan-Reise erwarten. Der Süddeutschen Zeitung sagte der Flüchtlingsminister vergangene Woche, er sympathisiere mit den Flüchtlingen, er verstehe ihre Gefühle und ihren Schmerz, und er erwarte, dass die deutsche Regierung ihnen soweit wie möglich Schutz gewähre. Was mit abgelehnten Asylbewerbern zu geschehen habe, müsse in einem bilateralen Abkommen zwischen Deutschland und Afghanistan geregelt werden.

Wie sich Balkhi so ein Abkommen vorstellt, geht aus Entwürfen hervor, die er anderen europäischen Ländern vorgelegt hat. Danach sollen Alte, Kranke, Kinder, Familien ohne männliches Oberhaupt sowie Menschen aus unsicheren Provinzen von Rückführungen ausgenommen werden. Damit bliebe für Rückführungen nur der alleinstehende Mann aus einer sicheren Provinz. Den Deutschen gilt dies als ein Versuch, Rückführungen praktisch unmöglich zu machen, weshalb das Bundesinnenministerium mit einem eigenen Entwurf reagiert hat, der solche Einschränkungen nicht enthält.

Es gilt jedoch als ausgeschlossen, dass sich de Maizière und Balkhi am Montag auf dieses Papier einigen werden. Daran dürften auch Anreize nichts ändern, mit denen Berlin die afghanische Seite für seine Linie gewinnen will. So will man bei der Reintegration der Rückkehrer helfen. Gedacht ist an finanzielle Starthilfen, an die Schaffung von Arbeitsplätzen und an ein Ausbildungsprogramm, das Afghanen fit machen soll für Arbeitsplätze in den Golfstaaten.

Balkhi dürften solche Vorschläge, die allenfalls langfristig wirken würden, nicht beeindrucken. Er gilt in der Flüchtlingsfrage als Hardliner, der Afghanen auf Facebook zur Flucht nach Großbritannien, Schweden und Deutschland ermuntert und vor dem Parlament erklärt haben soll, er werde sich dafür einsetzen, dass es nicht zu Rückführungen kommt. Balkhi gehört zur Ethnie der Hazara, die eine besonders große Zahl von Flüchtlingen stellen.

Die deutsche Plakataktion hat nichts gebracht

Die Bundesregierung hatte im letzten Jahr mit Hilfe einer Plakataktion in Afghanistan sowie über Facebook vor den Gefahren einer Flucht gewarnt und den Eindruck zu zerstreuen versucht, in Deutschland erwarteten die Flüchtlinge paradiesische Verhältnisse. Das Ziel, auf diese Weise den Flüchtlingsdruck auf Deutschland nennenswert zu verringern, wurde jedoch klar verfehlt.

Afghanen fliehen überwiegend wegen der dramatischen Sicherheitslage in ihrem Land, die sich seit vergangenem Jahr noch weiter verschlechtert hat. Hinzu kommt die miserable wirtschaftliche Situation mit einer Arbeitslosenquote von 50 Prozent sowie die Enttäuschung über den neuen Präsidenten Ashraf Ghani, der die hohen Erwartungen bislang nicht erfüllen konnte. Außer denen, die ins Ausland fliehen, gibt es in Afghanistan auch mehr als eine Million Binnenflüchtlinge. Allein im vergangenen Jahr sollen 300 000 dazugekommen sein.

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Quelle:
SZ vom 01.02.2016
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