Süddeutsche Zeitung

Abgelehnte Asylbewerber:Gewalt bei Abschiebeflügen nimmt zu

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Von Jan Bielicki, München

Die Bundespolizei setzt bei Abschiebungen immer häufiger Fesseln und andere sogenannte Hilfsmittel der körperlichen Gewalt ein. Allein im ersten Halbjahr benutzten Polizisten 1289 Mal Fuß- oder Handfesseln, Festhaltegurte oder Klettbänder, wenn sie ausreisepflichtige Menschen - meist per Flugzeug - aus dem Land schafften. Das war öfter als im gesamten Jahr 2018 und mehr als zehn Mal so oft wie im Gesamtjahr 2015. Mit dieser Zahl beantwortete das Bundesinnenministerium eine Frage der linken Bundestagsabgeordneten Ursula Jelpke, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Vor allem Algerier und Marokkaner, Nigerianer und Gambier wurden demnach bei Abschiebungen und Überführungen ins Ausland gefesselt. Der vermehrte Einsatz solcher - gesetzlich definierter - Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sei "unter anderem darauf zurückzuführen, dass mehr Personen im Rückführungsverfahren Widerstandshandlungen vornehmen", begründet das die Bundesregierung in ihrer Antwort. Erst vor einer Woche wurde bekannt, dass 2018 bei Abschiebeflügen 284 Beamte angegriffen und 71 von ihnen dabei verletzt wurden.

Insgesamt blieb die Zahl der Abschiebungen im ersten Halbjahr 2019 in etwa auf dem Niveau der Vorjahre. Bis Ende Juni schafften Bundespolizisten der Antwort des Innenministeriums zufolge 11 496 ausreisepflichtige Menschen außer Landes - im Gesamtjahr 2018 waren es 23 617. Deutlich größer ist die Zahl derjenigen, die ohne Zwang das Land verlassen, wenn sie dazu aufgefordert werden. So reisten bis Ende Juni 14 500 ausreisepflichtige Menschen aus. Im Ausländerzentralregister waren Ende Juni 55 620 Ausländer registriert, die nicht einmal eine Duldung hatten und sofort ausreisen müssten. Das waren 800 mehr als zu Jahresbeginn. Freilich gelten die Zahlen des Registers als zu hoch - so gibt es Hinweise darauf, das eine unbekannte Anzahl der dort geführten Personen Deutschland längst verlassen hat.

Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat sich vorgenommen, mehr abgelehnte Asylbewerber zur Ausreise zu zwingen. Sein Geordnete-Rückkehr-Gesetz - von Flüchtlingshilfsorganisationen wie Pro Asyl als "Hau-ab-Gesetz" gescholten - sieht eine Verschärfung der Abschieberegeln vor.

Laut Innenministerium scheiterten im ersten Halbjahr 2019 zahlreiche Abschiebungen auf dem Luftweg, nachdem die Abzuschiebenden an die für den Rücktransport zuständige Bundespolizei übergeben worden waren. Als Grund des Scheiterns nannte das Ministerium in 869 Fällen "Widerstandshandlungen", in 79 Fällen hätten medizinische Gründe vorgelegen, 20 Mal kam es zu Selbsttötungsversuchen und Selbstverletzungen. Vor allem Abschiebungen in Länder außerhalb Europas sind demnach enorm aufwendig. So waren allein für einen Charterflug, der am 13. Juni 34 Pakistaner - in Begleitung von 75 Bundespolizisten - vom Flughafen Berlin-Schönefeld aus in ihr Heimatland brachte, mehr als 380 000 Euro fällig.

Die linke Abgeordnete Jelpke nannte es "unerträglich, dass die Verzweiflung dieser Menschen immer unnachgiebiger mit Gewaltmitteln gebrochen wird, um sie gegen ihren Willen in elendste Verhältnisse" zurückzuschicken.

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SZ vom 12.08.2019
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