Süddeutsche Zeitung

70 Jahre Israel:"Ich kam mit dem Willen, etwas zu tun, um einen jüdischen Staat zu schaffen"

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Der 94-jährige Gideon Eckhaus erzählt, wie er die Gründung des Staates Israel erlebte und sein Leben lang für ihn gekämpft hat.

Protokoll von Alexandra Föderl-Schmid

"Vor der Abfahrt des Schiffes wollte ich noch meinen Vater in Italien treffen. Aber das Schiff ist früher abgefahren, und so habe ich meinen Vater nie wieder gesehen. Er ist nach Auschwitz gekommen. Am 10. Januar 1939 kam ich in Tel Aviv an. Ich war 15 und ein viertel Jahre alt. Ich kam mit dem Willen, etwas zu tun, um einen jüdischen Staat zu schaffen. So wurde ich auch erzogen in der Jugendbewegung in Wien. Der Staat Israel wurde nicht von Holocaustopfern gebildet, sondern von den Pionieren, die schon nach Palästina kamen. Als sie kamen, war hier nichts. Es gab einige arabische Städte, aber beinahe alles war Sand.

Ich habe zuerst in der Landwirtschaft gearbeitet. Dann wurde von der Hagana ( Anm. d. Red.: zionistische paramilitärische Untergrundorganisation) bestimmt, dass ich die Jugendabteilung leiten soll. Ich war damals in einem Schutzgraben mit noch vier Leuten zwischen Beer Tuvia und Kfar Warburg, südlich von Tel Aviv. Es war verboten, ein Radio mitzunehmen. Einer musste wachen, die anderen konnten zuhören, wie der Staat gebildet wurde. Als David Ben-Gurion ( erster Ministerpräsident) sagte, der Name des Staates ist Israel, da sind mir die Tränen runtergelaufen.

Ich war sehr zufrieden, aber auf der anderen Seite konnte ich mir vorstellen, dass die Bildung dieses Staates ein großes Problem sein würde. Das war es auch. Ben-Gurion wusste ganz genau, dass es sehr viele Opfer geben wird. Weil die Militärs von Syrien, Ägypten, aus dem Irak eingedrungen sind. Wir mussten uns dem entgegenstellen. Wenn nicht die Hagana gewesen wäre, wäre nichts zustande gekommen. Gar nichts. In jedem Krieg musst du den Gedanken haben, dass du siegen wirst. Wenn du denkst, du wirst verlieren, dann hast du schon verloren.

Ich habe so viel miterlebt, ich bin nicht stolz. Aber ich bin sehr zufrieden

Der Staat konnte sich bilden, weil Kibbuzim und Moschavim ( Genossenschaftssiedlungen) aufgebaut wurden. Und weil der Großteil der Juden, die hierherkamen, Zionisten geworden sind. Es kamen Juden aus aller Welt, Israel musste sie alle aufnehmen, das war nicht so einfach. Und die Juden aus Europa haben die Juden aus dem Nahen Osten nicht gerade freundlich aufgenommen, was damals schon nicht in Ordnung war. Man musste alle zusammenbringen. Denn wenn man sie nicht zusammenbringt, gibt es kein Volk. Und ohne Volk gibt es keine Heimat. Ich war verantwortlich für 145 Jugendheime. Das war mein Beitrag zum Aufbau des Staates.

Ich bin einer, der sehr oft an die Vergangenheit denkt. Als ich ankam, dachte ich, dass wir zusammen mit den Arabern eine ausgezeichnete Gesellschaft bilden können. Es kam anders. In der Geschichte gibt es Dinge, die man im Voraus nicht prognostizieren kann. Wir müssen ein Land sein, das sich gut wehren kann. Aber wenn wir nur einen Teil der Mittel für Erziehung ausgeben könnten ... Ich habe mir oft gedacht: Wie sich die arabische Gesellschaft dann hätte entwickeln können.

Um einen Frieden zu schaffen, benötigt man immer zwei. Wer wirklich Frieden will, muss auch der anderen Seite etwas anbieten. Wenn man etwas der anderen Seite anbietet, dann muss die andere Seite bereit sein, etwas zu akzeptieren.

Warum besteht Israel noch? Es ist ein Wunder. Ich habe so viel miterlebt, ich bin nicht stolz. Aber ich bin sehr zufrieden. Ich kenne kein einziges Volk auf der Welt, das schaffen konnte, was wir bis heute geschaffen haben."

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Quelle:
SZ vom 12.05.2018
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