Süddeutsche Zeitung

Online-Auktion:Was von Wirecard übrig blieb

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Drehstühle, Mülleimer, Garderobenständer: Das furchtbar banale Büromobiliar des insolventen Skandalkonzerns steht zur Versteigerung. Wo, bitte, weht der Hauch des Bösen?

Von Gerhard Matzig

Eigentlich stellt man sich das Hauptquartier des Bösen anders vor. Nicht so wie in Aschheim bei München, wo einst Wirecard in einem durchschnittlichen Gewerbesteppenalbtraum hauste, der auch als osteuropäisches Teppichabhollager firmieren könnte. Dunkler hätte man sich den Stammsitz der Schurkerei vorgestellt, dramatischer, abgründiger. Nicht so resopaltischhaft - von neun bis 17 Uhr. Ein Trost ist das allerdings nicht für all die Kleinanleger, die zu Opfern eines kalten Finanz- und obendrein zu Opfern eines löchrigen Sicherungssystems wurden.

Ken Adam hatte als genialischer Szenograf der James-Bond-Reihe noch ein Gespür für die satanischen Zentralen der größten Halunken. Zumindest im Kino darf man, wenn man schon kein Gewissen hat, stilbewusst sein. Insofern ist der erste Blick auf die deprimierenden Überreste des vormaligen Skandalkonzerns an Banalität und Thrill-Mangel kaum zu überbieten.

Bis zum 3. Februar können bei Hämmerle, Spezialist für Insolvenzversteigerungen, in einer Online-Auktion noch einige Hundertschaften an Büromöbeln und Teeküchen-Bestandteilen ersteigert werden. Frisch aus der Konkursmasse jener Firma, die eine der übelsten Firmenpleiten der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte verursacht hat.

Im Sommer vor anderthalb Jahren musste der Dax-Konzern, der als Finanzdienstleister Lösungen für den elektronischen Zahlungsverkehr ersonnen hat, Insolvenz anmelden. Zuvor war bekannt geworden, dass 1,9 Milliarden Euro zwar in der Bilanz standen - aber beim besten Willen nicht mehr auffindbar waren. Auch das Geld hatte man also ersonnen. Erfunden wie Feenstaub. Wirecard-Chef Markus Braun sitzt bis heute in Untersuchungshaft, und das Vorstandsmitglied Jan Marsalek wird international per Haftbefehl gesucht.

Wer zufällig weiß, wo er sich befindet, könnte ihm ausrichten, dass die eine oder andere Zimmerpflanze am früheren Firmensitz einen traurigen und verlassenen Eindruck macht. Für die Blumensäule (Position Nr. 80: 1 Stück Blumensäule, schwarz, ca. 0,35 x 0,35 x 1,1 m) sind aber immerhin schon vier Gebote eingegangen. 35 Euro werden aktuell aufgerufen. Dafür erhält man die Hydrokulturkugeln zur Zimmerpflanze gratis dazu.

Die Pflanze weist dem Bild bei Hämmerle auf der Homepage zufolge übrigens eine vage Ähnlichkeit mit dem grünen Bogenhanf, Sansevieria, auf. Dies ist jedoch eine sehr grobe und von keinerlei botanischem Wissen getrübte Spekulation des Autors, der im Grunde kein Freund von Zimmerpflanzen ist, wenn er auch zugibt, dass diese im Prinzip die Welt retten, als Sauerstofflieferanten, Luftbefeuchter, Umweltgiftabsorbierer - und: Man arbeitet deutlich beflügelter, heißt es, wenn einem die Zimmerpflanze zur Seite steht.

Beflügelt, ja bogenhanfberauscht müssen ja auch irgendwann die Wirecard-Chefs von der grandiosen Idee gewesen sein, dass man Geld zur Not auch einfach erfinden kann. Eine derartige Kreativität, flankiert vom kriminellen Talent, strahlen die diversen Bürodrehstühle, Sideboards, Rollcontainer und zweitürigen Aktenablageschränke, die nun verscherbelt werden, allerdings kaum aus.

Die Hämmerle-Inventarliste liest sich beispielsweise so: "6 Bürodrehstühle, Sitzfläche Stoffbezug schwarz, Rückenteil Netzbezug schwarz, mit Armlehne, 1 Garderobenständer (...) 1 Magnettafel". Kann man sich Verbrecher zwischen Meeting und Teeküche elender vorstellen? Mehr Glamour ist nicht drin. Auch die Winkelkücheneinbauzeile samt Edelstahlspülbecken ändert daran nichts.

Allenfalls die Position 88 fällt auf: 1 Stück Nautilus Kraftstation NS4000. Für sie gibt es neun Gebote. 1100 Euro sind zu überbieten. Wer dieses Muskel-Gerät samt waschbrettfreundlichem Bauch-Crunch ersteigert, wird etwas vom verschwitzten Hauch des Bösen erwerben. Mehr nicht. Denn Firmen wie Wirecard handeln nicht mit Dingen, die man anfassen kann. Sie handeln mit Einsen, Nullen und Behauptungen. Am Ende bleibt davon nur der Bogenhanf übrig, eine Pflanze, die wie geschaffen ist - für die Wüste.

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