Süddeutsche Zeitung

Wien:Hoppala

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Auf dem Wiener Opernball treffen sich Bauunternehmer, Hollywood-Schauspielerinnen, eine IWF-Chefin und eine Dschungelcamperin. Und nicht immer geht es dabei lustig zu. Ein Drama in sieben Akten.

Von Cathrin Kahlweit

Auch auf dem diesjährigen Opernball wird zum Schluss vor allem gewalzt (links herum), fotografiert (Dauer-Selfie-Alarm), gegessen (Würstel für zehn Euro) und gesessen (Loge bis 25 000 Euro). Ansonsten bietet die 61. Aufführung des Events, das in der Wiener Wahrnehmung ein Ereignis von wahrlich internationaler Bedeutung ist, keine Prügelei, keine Skandale. Nicht mal sehr viele Promis zum Anstarren sind gekommen. Selbst Richard "Mörtel" Lugner streitet sich in diesem Jahr nicht mit seiner Ehefrau, denn er hat ausnahmsweise mal keine. Draußen auf der Straße stehen derweil inmitten einer überschaubaren Zahl von Schaulustigen zwei Typen mit Bierdosen und Plakaten. Darauf: "Ihr seid unrein", und "Dekadenz ist Mord". Was das heißen soll? "Keine Ahnung. Aber schön, wenn jemand drüber nachdenkt." War sonst noch was? Und wie.

1. Akt: Trauern

Zuerst einmal sind da eine sehr traurige Nachricht und ein Bundeskanzler, dem die Stimme bricht. Kurz vor Beginn des Opernballs, der ein Künstlerball sein soll, ein Schickimickiball ist und als Staatsball fungiert, ist die beliebte Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser gestorben. Ein Ballgast sagt in die ORF-Kameras, die SPÖ habe "leider kein Glück mit ihren Frauen". Die Formulierung muss wohl als unglücklicher Euphemismus verbucht werden. Oberhauser hatte, mutig, gefasst und als Medizinerin in Kenntnis der Lage, ihre Krebskrankheit öffentlich gemacht, hatte sich nach der Chemotherapie mit Glatze gezeigt und bis vor wenigen Wochen, dem Tod sichtlich nah, ihr Amt ausgeübt. Sie hatte überhaupt etwas gezeigt, was Politiker gern vermeiden: sich selbst.

2. Akt: Schweigen

Gewöhnlich wird der Opernball in Wien mit einem kurzen Interview des Bundespräsidenten eröffnet, der bekanntlich neuerdings ein ehemaliger Grüner ist und Alexander Van der Bellen heißt. Pikant: Seine Frau hat früher selbst gegen den Opernball demonstriert, als diese Demos, anders als heute, noch echte Gesellschaftsschocker waren. Jetzt steht sie in Schwarz in der Regierungsloge, während der Präsident, erkennbar getroffen, den Tod der Ministerin betrauert und dann an Bundeskanzler Christian Kern übergibt. Der muss hörbar schluchzen, als er sich vor 5000 Gästen im Saal und Millionen vor den Fernsehern von der Freundin verabschiedet. Es folgt: eine Schweigeminute, nie da gewesen beim Opernball. Sehr würdig. Erst danach wird auf dem Parkett, fast befreit, gebrüllt: "Alles Walzer!"

3. Akt: Reden

In einer Loge gähnt derweil Goldie Hawn ziemlich schamlos, was umso uneleganter aussieht, als die Kameras das von unten aufnehmen. Hinter ihr, glückselig, der alte Baumeister, der sich immer noch Frauen kaufen kann, und sei es nur für zwei Tage, ein Schnitzel im Figlmüller, eine Torte im Sacher und einen Abend in der Staatsoper. Die letzten Stars, Sternchen und Zumutungen, die er einflog, hatten sich nicht alle immer nett benommen, dafür aber gern sein Geld genommen. Die 71-jährige Hawn, die eine schwarze Nerdbrille zu ärmellosem Silberkleid trägt, erledigt ihren Dienst am Mörtel so ungeheuer professionell, als sei sie quasi täglich als bezahlter Stargast eines greisen Unterhalters unterwegs, der von sich selbst - und durchaus zu Recht - sagt: "Die Leute reden ja eh nur über mich und meine Gäste, und nicht über den Ball."

4. Akt: Kommentieren

Hier müssen nun unbedingt die beiden großartigen Kommentatoren des ORF (nicht zu verwechseln mit den Moderatoren) eingeführt werden. Der Sender hält mit 180 Mitarbeitern und 19 Kameras das Weltereignis für die Ewigkeit fest. Karl "Kari" Hohenlohe und Christoph Wagner-Trenkwitz, in Wien als "Balljungen" bekannt, sitzen dazu in einem Kammerl und kommentieren Prominenz und Peinlichkeiten. Sie tun das so launig, dass Normalsterbliche, die keine Verhandlungen mit der IWF-Chefin Christine Lagarde (diesmal todschick in Glitzerschwarz) führen müssen und Gina-Lisa Lohfink nicht einmal nachts im Dschungel der Opernstiegen begegnen möchten, besser gemütlich daheim vor der Glotze aufgehoben sind. Hohenlohe ist Journalist, Autor und Herausgeber des österreichischen Gault Millau, Wagner-Trenkwitz ist Chefdramaturg an der Volksoper in Wien und moderiert unter anderem im Radio das Neujahrskonzert. Vor wenigen Tagen, als der ORF seine Dauerwerbesendung zum Ball der Bälle auf allen Kanälen startete, saßen die beiden zum Warm-up im Studio und kommentierten alte Opernball-Übertragungen auf der Suche nach "Geschmacks-Hoppalas". Summa summarum, so Wagner-Trenkwitz, "arbeiten wir, wo sich andere vergnügen. Wir sind eigentlich die Gynäkologen des Opernballs."

5. Akt: Demonstrieren

Draußen in der großen Stadt stehen sich unterdessen die Demonstranten die Füße platt. Die Kommunistische Jugend hatte die alte Tradition der Opernball-Demo wiederbelebt, das Motto: "Eat the rich. Kaviar für euch, Krise für uns." Leider sind statt der erwarteten 500 nur etwa 100 Marschierer gekommen, von denen einer verständlicherweise begeistert brüllt: "Uns den Kaviar!" Eine junge Frau mit Megafon koordiniert das Geschehen von der Ladefläche eines Lastwagens aus und skandiert immer wieder: "Wir sind viele, wir sind die Zukunft", was eine korpulente, mit einem halben Dutzend Einkaufstaschen bepackte Passantin prompt bezweifelt. Zukunft? Viele? "Hier kommt ja ein Polizist auf einen Demonstranten. Das ist mal ein Luxus."

6. Akt: Shoppen

Wer sich kein 290-Euro-Ticket für den Opernball leisten konnte, darf beim Shoppen in der Lugner-City schon mal Goldie Hawn bewundern, die zwei Tage zuvor dort vor einer begeisterten Menge eine Kapelle dirigiert. Der Jubel ist groß. Der Trubel auch: Lugner präsentiert bei einer Pressekonferenz seinen Fang, was auch diesmal mit Irritationen einhergeht, wenn auch eher sprachlicher und ästhetischer Natur: Der neue Film von Goldie Hawn heiße "Mädelstrip", kündigt er an. Hawn aber versteht "Meryl Streep" und interveniert empört: In dem ganzen Film komme sie, aber nicht eine Minute Meryl Streep vor. Danach beantwortet sie brav bohrende Fragen nach der Beständigkeit ihrer Ehe und ewiger Liebe, während der in solchen Dingen eher unerfahrene Gastgeber mit offenem Mund zuhört. Dann kämmt er sich vor laufenden Kameras ausführlich das Haupthaar. Das gehört sich zwar nicht, aber man weiß ja nie, wozu das gut ist.

7. Akt: Fremdschämen

Punkt fünf Uhr am Freitagmorgen, wenn der letzte Gast hinauskomplimentiert ist, beginnen die Arbeiter in der Staatsoper mit dem Abbau, damit am Samstag pünktlich alles wieder bereit ist für die Aufführung von "La fille mal gardée". Derweil wird die Beerdigung von Sabine Oberhauser vorbereitet, was letztlich doch noch einmal mit einem kleinen, schäbigen Lugner-Skandal einhergeht. Seine Ex-Frau Cathy twittert in der Nacht ein Foto im Ballkleid und dazu den Text: "Sexy statt trauern."

Hohenlohe und Wagner-Trenkwitz würden das als verschärftes Geschmacks-Hoppala verbuchen.

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Quelle:
SZ vom 25.02.2017
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