Süddeutsche Zeitung

Verzierungstrend:Frohes Mustern

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Ostereier, Haare, Cappuccino-Schaum und sogar Pferde - der Mensch muss fast alles verschnörkeln oder färben. Woher kommt der Drang zur Verzierung?

Von Laura Hertreiter

Wo nichts ist, herrscht Leere. Und Leere erträgt der Mensch offensichtlich schlecht. Auf dem Kaffee zum Beispiel: Der ist heute nur dann noch ordentlicher Kaffee, wenn darauf Milchschaum in Form von Schwänen und Blattwerk in die Tassen geschwenkt wurde. Wie auch der Fußballer nur noch ein echter Fußballer ist, wenn er sich wenigstens einmal seltsame Muster ins Haupthaar einrasieren lässt.

Der Mensch malt, fräst, schnitzt, stickt und sprayt, wo auch immer ihm die Leere entgegengähnt. Er strichelt und punktet und kariert und liniert. In den vergangenen Tagen bevorzugt auch auf Eierschalen, denn ein Ei ohne Dekor ist kein Osterei. Woher aber kommt der Drang, jede noch so kleine Freifläche zuzumustern?

Zumindest im Fall des Ostereis ist die Sache klar. Da geht das Bemalen nach christlicher Tradition auf die Fastenzeit zurück: Weil in der Karwoche keine Eier gegessen wurden, sammelte man sie bis Ostern. Bemalte Eier empfinden die meisten Menschen als schöner und jedenfalls festlicher als blanke, außerdem weckte vermutlich die wachsende Menge blank herumliegender Eiern den Horror Vacui, die Angst vor der Leere. Aristoteles prägte diesen Begriff, aus dem Kunsthistoriker später die Scheu des Menschen vor freien Flächen ableiteten. Die war vor allem in der viktorianischen und barocken Kunst gewaltig. Seit dem 20. Jahrhundert hingegen schätzt man auch die Ästhetik des Weißraums, den Mut zur Freifläche - was aber nichts daran ändert, dass die Menschen munter weitermustern.

Pferde scheren ist sinnvoll - der Giraffenlook aber nicht

Die einen trampeln geometrische Formen in Kornkreise (jährlich werden bis zu 300 Stück entdeckt), andere flechten Baumstämme zu Zöpfen oder drucken Gesichter auf Gelbwurst. Und dann sind da noch die Menschen, die ihre Hunde in Karojacken stecken oder Ponys Zebrastreifen ins Fell scheren.

Ist das Kunst? Oder Irrsinn?

Das Scheren ist üblich bei Sportpferden, die wegen ihres dicken Winterfells beim Training stark schwitzen. Dass sie anschließend artfremd gemustert sind, ist eher unüblich. Nachfrage bei Sladjana Jovanovic, die schon so manches Pferd in der Schweiz zum Wildtier umgestaltet hat. "Wie die Muster ausfallen, liegt am Künstler", sagt sie. Sechs Stunden lang müsse ein Pferd stillstehen, bis es einer Giraffe, einem Tiger oder einem Zebra ähnelt. Dabei geht es den Pferdebesitzern hauptsächlich um Extravaganz, ums Besondere.

Anderes Haar, andere Muster, gleiches Ziel: Wenn das Modehaus Burberry Models mit karierten Strähnen auf den Laufsteg schickt und der französische Fußballer Paul Pogba sich Emojis, Zahlen, Sterne und weiß Gott was noch einrasieren lässt, ist immer ein mediales "Da schau hin" die Folge.

Der genau darauf spezialisierte Prominentenfriseur Udo Walz sagt, er und seine Mitarbeiter rasierten seit Jahren Symbole ins seitlich kurze Haar. "Undercut mit Sternen ist schon seit einer Weile bei Männern zwischen 20 und 30 beliebt. Vor allem, wenn sich der Stern als Tattoo in der Halspartie spiegelt." Bereits vor zwei Jahrzehnten hätten sich Frauen mit dicken Blocksträhnen gewissermaßen ein Streifenmuster verpasst. "Es geht immer um Abgrenzung vom Klassischen, um Individualität, um Aufmerksamkeit", sagt Udo Walz. Models, Fußballer, getigerte Pferde, die Grenze ist fließend.

Die ältesten geometrischen Zeichen der Menschheitsgeschichte hat nach bisherigem Stand ein Frühmensch vor mehr als 500 000 Jahren hinterlassen: Forscher fanden Ende 2014 eine Muschel mit eingraviertem Zickzack. Wozu der Homo erectus sich die Mühe machte, ist fast so schwierig zu beantworten wie die Frage, warum ein kolumbianischer Landwirt ein Waldstück in Form einer Gitarre angepflanzt hat. Oder ein Brite jeden Winter nach mathematischen Formeln durch den Schnee stapft.

Für den österreichischen Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeld ist klar, dass das ästhetische Empfinden einem Grundbedürfnis entspringt. "Zeigt man Meerkatzen Bilder, dann bevorzugen sie all jene, die regelmäßige Muster enthalten, weil diese besser erinnerbar sind", sagte er in einem Interview.

Sogar Lottospieler haben einen Sinn für Ästhetik

Fotoschleudern im Internet wie Instagram und Pinterest multiplizieren das Bedürfnis nach Vermusterung. Seit die Bilderschwemme eingesetzt hat, sehen Fingernägel oftmals aus wie sorbische Ostereier; legen Menschen ihr Müsli in Linien in die Bowl (früher bekannt als Schüssel); rösten Toaster Herzen ins Weißbrot, und der Marmorgugelhupf wurde von kariertem Kuchen abgelöst, Hashtag Foodporn. Alles Muster, die einerseits vom gewöhnlichen Brot- oder Kuchenesser abgrenzen sollen. Die aber gleichzeitig wiedererkannt werden, weil wirklich jeder weiß, wie eine Linie, ein Herz, ein Karo aussieht.

"Muster helfen Menschen, Struktur im eigenen Leben zu finden und die eigene Lebenswelt subjektiv zu verschönern", sagt der Kunstpsychologe Georg Franzen. Damit könnten sie sogar heilsam sein. Denn beim Mustermalen, sagt er, bauen sich innere Spannungen ab. Einige machen das beim Kritzeln während Telefonaten ganz unbewusst. Und viele auch beim Lottospiel: Statistiker haben herausgefunden, dass Kreuzchen auf dem Lottoschein häufig in geometrischen Mustern und Diagonalen gesetzt werden. Wer eine möglichst hohe Gewinnsumme erzielen will, dem ist deshalb von der Vermusterung des Lottoscheins abzuraten.

Andererseits: Die Chancen stehen besser, als wenn darauf Leere herrscht. Und mit diesem Rat sei hinter das Thema ein wohlgeformter Punkt gesetzt.

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Quelle:
SZ vom 15.04.2017
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