Süddeutsche Zeitung

Urteil im Fall Yağmur:Mordmerkmal Grausamkeit

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Lebenslange Freiheitsstrafe für die Mutter

Mehr als zwei Stunden dauert die Urteilsverkündung, detailliert listet der Richter die zahlreichen Verletzungen auf, die Yağmur aus Hamburg in ihrem kurzen Leben erlitten hat. Mit tonloser Stimme schildert er die grausamen Details. Melek Y. hat den Kopf auf die Hand gelegt, damit das Publikum ihr Gesicht nicht sieht. Fast ein Jahr nach dem qualvollen Tod ihrer dreijährigen Tochter verurteilt das Landgericht Hamburg die Mutter an diesem Dienstagvormittag wegen Mordes.

Die junge Frau muss nun mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe für den Mord an ihrer Tochter büßen. Die Richter stellen aber nicht die besondere Schwere der Schuld fest, wie die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Damit kann die 27-Jährige auf eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren hoffen.

Auch der Vater muss ins Gefängnis

Der Vater des Mädchens ist nach Überzeugung des Gerichts mitschuldig. "Sie haben das Prinzip Hoffnung walten lassen, wo entschlossenes Handeln nötig gewesen wäre", sagt der Richter. Der Mann bekommt eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen.

Die Staatsanwaltschaft hatte für ihn sechs Jahre Haft gefordert - er habe das Kind nicht vor seiner "hochaggressiven Frau" geschützt. Sein Verteidiger verlangte höchstens eine Bewährungsstrafe. Der 26-Jährige, der zunächst durch seine Frau schwer belastet worden war, sei durch den Tod seiner Tochter ausreichend bestraft. Er will sich nun überlegen, ob er in Revision geht.

80 Hämatome und Quetschungen

Mehr als fünf Monate lang war gegen Melek Y. und Ehemann Hüseyin Y. verhandelt worden. Kurz vor Weihnachten 2013 war ihre dreijährige Tochter bei ihnen zu Hause nach einem Leberriss innerlich verblutet. Bei der Obduktion wurden zudem mehr als 80 Hämatome und Quetschungen sowie ein schlecht verheilter Bruch des Unterarms festgestellt.

Gefühllos, kalt und ohne Mitleid habe die Mutter ihr Kind immer wieder geschlagen, getreten, gekniffen und fest angepackt, hatte die Staatsanwältin in dem Prozess gesagt. Das Gericht sieht das Mordmerkmal der Grausamkeit als erwiesen an. Die Mutter habe dem Mädchen besonders starke Schmerzen und seelische Qualen zugefügt, sagt der Richter.

Sie habe sich durch Yağmur in ihrer Freiheit eingeschränkt gefühlt. Und sie sei wütend auf ihren Mann gewesen. Das zeigt auch eine WhatsApp-Nachricht die vor Gericht verlesen wird. Melek Y. soll sie an ihren Mann Hüseyin Y. geschrieben haben: "Wenn du dich so schlecht und böse verhältst, lasse ich meine Wut an Yağmur aus." Immer häufiger habe sie das Mädchen geschlagen und die Blutergüsse überschminkt, um die Misshandlungen zu verdecken, sagt der Richter. Sogar Yağmurs Leiche schminkte sie, bevor der Notarzt kam.

Richter kritisiert Behörden

Das Verfahren sei für das Gericht stärker als andere Prozesse bedrückend und belastend gewesen, sagt Richter. "Dies vor allem angesichts des Ausmaßes, in dem Yağmur gelitten hat." Gleichzeitig übt er deutliche Kritik an den Behörden und geht auf einen Bericht der Jugendhilfe ein, in dem zahlreiche Fehlentscheidungen und Nachlässigkeiten aufgelistet sind. Die Summe der Unzulänglichkeiten hätten dazu geführt, dass Yağmur nur drei Jahre und zwei Monate alt geworden sei. Das sei beschämend.

Bestürzung hatten in dem Fall Yağmur nicht nur die Grausamkeit der Tat, sondern auch die Versäumnisse der Behörden ausgelöst. Das Mädchen war seit ihrer Geburt vom Jugendamt betreut worden. Bereits im Januar 2013 wurde sie nach Misshandlungen im Krankenhaus behandelt, die Staatsanwaltschaft ermittelte. Weil die Pflegemutter zugab, das Kind einmal geschüttelt zu haben, gab das Jugendamt Yağmur an die leiblichen Eltern zurück.

Im November 2013 stellte sie die Ermittlungen ein, weil nicht geklärt werden konnte, wer der Täter ist. Kurz danach war das Kind tot. Ein Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft will seinen Abschlussbericht dazu am 18. Dezember vorlegen.

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