Süddeutsche Zeitung

Tübingen:Prozessbeginn um Mord mit Dönermesser

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Von Josef Kelnberger, Tübingen

Deutschland war in Aufruhr in jenen Sommertagen 2016. Am 18. Juli ging bei Würzburg ein minderjähriger Flüchtling mit einer Axt auf Passagiere eines Regionalzugs los. Am 22. Juli erschoss in München ein 18-jähriger Amokläufer neun Menschen und sich selbst. Am 24. Juli zündete ein 27-jähriger Flüchtling in Ansbach eine Rucksackbombe. Ebenfalls am 24. Juli kam diese Nachricht aus Reutlingen: Ein syrischer Asylbewerber tötete mit einem Dönermesser eine Frau und machte danach wahllos Jagd auf Passanten. IS-Terror? Der Verdacht wurde bald dementiert, von Beziehungstat war die Rede. Aber was treibt einen jungen Mann in einen derartigen Exzess? Als einziger der vier Täter jener Tage blieb er am Leben - Gelegenheit für ein Gericht, die Spur der Gewalt zu verfolgen.

In Parka und Jogginghose gekleidet, wurde Mohamad H. am Dienstag zum Prozessauftakt in den Saal 120 des Landgerichts Tübingen geführt. Ohne Regung hörte er zu, wie der Staatsanwalt die Anklage verlas: Mord, zweifacher versuchter Mord, schwere Körperverletzung. Ein einziger Blutrausch.

Mohamad H. hatte wie das Opfer, eine Polin, in einem Dönerlokal gearbeitet. Die beiden hatten eine sexuelle Beziehung, so steht das in der Anklage. An dem Sonntag habe er sie zum Gespräch hinter dem Lokal gebeten und ohne Vorwarnung mit einem 60 Zentimeter langen Messer losgeschlagen. Die Frau verblutete, an Kopf und Hals getroffen. Danach ging H. offenbar auf Menschenjagd. Im Lokal schlug er laut Anklage einem Shisha rauchenden Mann das Messer ins Gesicht. Auf der Straße zerschmetterte er die Scheiben eines Autos und ging auf die Insassen los. Erst nachdem er von einem weiteren Auto angefahren worden war, sei er überwältigt worden.

Das Gericht muss zunächst das Alter des Angeklagten klären

Die Akribie, mit der der Rechtsstaat einer solchen Tat auf den Grund geht, äußerte sich am ersten Verhandlungstag bei der Frage: Wie alt ist der Täter? Der Vorsitzende Richter Ulrich Polachowski erklärte, man stehe vor dem gleichen Problem wie die Kollegen in Freiburg, die den Mord an der Studentin Maria L. bearbeiten. Nach wie vor ist unklar, ob der mutmaßliche Täter, ein afghanischer Flüchtling, minderjährig ist.

In den Papieren von Mohamad H. steht als Geburtsdatum der 1. Januar 1995. Aber in arabischen Ländern werden Neugeborene oft nachträglich zum 1. Januar gemeldet. H. behauptet, sein wahres Geburtsdatum sei der 16. November 1995. Demnach wäre er zum Tatzeitpunkt erst 20 Jahre alt gewesen, ein "Heranwachsender", und damit ein Fall für die Jugendkammer. Laut Polizei haben die Eltern jedoch am Telefon erklärt, ihr Sohn sei im November 1994 geboren. Nun soll ein weiterer Anruf in Aleppo Klärung bringen.

Der Angeklagte hat jedenfalls eine kriminelle Vorgeschichte. In Reutlingen waren zwei Verfahren wegen Körperverletzung und Diebstahls gegen ihn anhängig. Angeblich litt er unter psychischen Problemen.

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Quelle:
SZ vom 25.01.2017
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