Süddeutsche Zeitung

Tierkrawatten:"Macht, Geld und Wichtigkeit"

Lesezeit: 4 min

Der Hang des neuen österreichischen Bundeskanzlers zu Tierchenkrawatten wirft Fragen auf: Warum tragen erwachsene Männer Elefanten und Pinguine um den Hals? Ein Experte kennt die Antwort. Und hat auch für den nächsten deutschen Bundeskanzler einen Tipp.

Interview von Violetta Simon

Als Alexander Schallenberg (ÖVP) als neuer Bundeskanzler von Österreich vereidigt wurde, gab es einen ziemlichen Zirkus - zumindest auf seiner dunkelroten Krawatte: Elefanten, Seehunde, Tiger - alle auf einem schmalen Stück Stoff. Auch zu anderen offiziellen Terminen präsentiert sich der Nachfolger von Sebastian Kurz gerne mit Bindern, auf denen Tiere zu sehen sind, mitunter sogar ausgestorbene wie T-Rex - und er ist damit nicht allein. Erwachsene Männer und Krawatten mit Tiermotiven? Jan-Henrik Maria Scheper-Stuke, Geschäftsführer der Berliner Krawattenmanufaktur Auerbach, hat eine Erklärung dafür: "Man strahlt damit Macht, Geld und Wichtigkeit aus", sagt der 39-Jährige, der in fünfter Generation das Unternehmen seines Patenonkels weiterführt. Und genau darum solle ein Kanzler von solchen Codes besser die Finger lassen.

SZ: Ein Mann und seine Krawatte - wie würden Sie dieses Verhältnis beschreiben?

Jan-Henrik Maria Scheper-Stuke: Die meisten tun sich schwer damit, Neues auszuprobieren. Am liebsten mögen sie es einfarbig mit ein bisschen Struktur. Tupfen oder Rautenmuster gelten da schon als gewagt. Zugleich haben manche Kunden eine sehr explizite Vorstellung. Der eine hat bereits eine große Auswahl an unterschiedlichsten Bordeauxtönen - und wählt am Ende wieder ein Modell in einem etwas anderen Bordeaux. Der Nächste trägt ausschließlich schwarze Krawatten, die sich aus der Nähe lediglich durch Tupfen, zarte Rauten oder Paisleys unterscheiden. Manchmal steht der Kunde dann bei uns im Laden und weiß selbst nicht, ob er diese oder jene schon hat. Eine neue Farbe? Kommt nicht infrage.

Führen Sie eigentlich Krawatten mit Tiermotiven in Ihrem Sortiment?

Selbstverständlich, die werden besonders gern gewählt zum Cutaway, dem festlichen Tagesanzug in Grau für den Herrn, der ja vor allem in feineren Gesellschaften getragen wird. Ich weiß nicht, wieso, aber es scheint eine Art Gesetz zu sein. So wie neulich auf der Hochzeit von Alexander zu Schaumburg-Lippe: Kaum jemand, der nicht eine bunte Krawatte mit kleinen Elefanten, Libellen, Marienkäfern, Giraffen oder anderen Viechern umhatte. Selbst Teddybären waren dabei. Von Weitem wirken die Tiere aber eher wie ein grafisches Muster, erst aus der Nähe sind sie zu erkennen.

Ich frage, weil der österreichische Kanzler Alexander Schallenberg offenbar eine Schwäche dafür hat. Bei seiner Vereidigung trug er eine Krawatte mit Löwen, Elefanten und Seehunden.

Ich glaube nicht, dass ein Kanzler es nötig hat, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass er einen Anteil seines Salärs in Krawatten investiert. Damit sticht er unnötig stark hervor durch seinen Geschmack - beziehungsweise den seines Stylisten. Ein Regierungschef repräsentiert sein Land nicht als Dressman. Was er darstellt, muss er mit seinem Kopf erledigen. Olaf Scholz, Armin Laschet, Joe Biden oder Barack Obama wären wohl niemals auf die Idee gekommen, sich mit einer Tierchenkrawatte zu zeigen.

Dennoch ist Schallenberg nicht der einzige Politiker mit Tierkrawatte. Es gab auch die dunkelblaue Pinguin-Krawatte von Ferragamo, die Friedrich Merz 2018 bei seiner Bewerbungsrede für den CDU-Parteivorsitz umhatte. Man könnte sich schon fragen, ob jemand, der so etwas trägt, ernst genommen werden will?

Durchaus. Nehmen wir den ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg: Der trug in seiner Amtszeit viele solcher Krawatten - warum? Die Tiermotive kamen ursprünglich von Hermès, sie zeigten, entsprechend ihrer Tradition als einstige Sattlerei, vor allem kleine Pferdchen. Eine solche Krawatte beginnt bei 190 Euro, man strahlt damit Macht, Geld und Wichtigkeit aus. Botschaft: Ich bin nicht einer von vielen, ich habe Geschmack. Man möchte zeigen, dass man angekommen ist, sich in den richtigen Kreisen bewegt.

Und wenn Schallenberg einfach Tiere als Motiv gern mag? Könnte doch sein.

Was genau bei Schallenberg dahintersteckt, vermag ich nicht zu sagen. Womöglich ist es auch seine Frau, die ihm die Krawatten morgens rauslegt. Aber aus Erfahrung weiß ich, dass Menschen, die in modischen Fragen nicht ganz stilsicher sind, lieber eine etablierte Designermarke mit Wiedererkennungswert wählen, mit der man nichts falsch machen kann.

Von Hermès gibt es sogar eine Krawatte mit Tyrannosauriern - auch Schallenberg hat so eine. Hätte er die vielleicht zu seiner Vereidigung tragen sollen, quasi als Botschaft an die Opposition?

Ein Regierungschef sollte überhaupt keine Motivkrawatte tragen. Auch keine Pilze oder Blumen! Besser wäre ein staatsmännisches Modell gewesen, wie es etwa Emmanuel Macron trägt, das wirkt immer sehr präsidial. Viele Staatsmänner wählen schlichte Krawatten zum dunklen Anzug, ohne Einstecktuch. Man kann mit anderen Elementen arbeiten, das geht auch etwas leiser. In gewissen Kreisen weiß man auch so, was eine teure Krawatte ausmacht. Im Vorstand eines Dax-Unternehmens trägt man zum Beispiel ein Modell mit starker Haptik oder mit dezenten Mustern, die zum Hemd passen. Wenn vor Ihnen der Senior Vice President einer Unternehmensberatung sitzt, trägt er garantiert ein handgefertigtes Modell von Brioni, Zegna oder einer Manufaktur wie unserer, dem man schon am Stoff ansieht, dass es hochwertig ist.

Wer wählt dann überhaupt noch auffällige Muster?

Die Generation unter 50, die Anzüge mag, aber weniger Lust auf Krawatte hat, weil sie nicht mit einem bestimmten Stereotyp in Verbindung gebracht werden will. Bei ihnen sind die Designs meist auffälliger, zeigen etwa runde Medaillons oder Check-Karomuster. Schließlich gibt es noch den Hochzeiter, und hinter dem steht immer eine Braut - die ist meist mutiger als er, da lässt er sich dann ein auf ein florales Muster oder Paisley in knalligen Farben. Bräutigame, die keine Anzüge gewohnt sind und im Alltag nur Streetwear tragen, ziehen in der Regel Krawatten ohne Muster vor - am liebsten in Bordeaux oder Dunkelblau, allerhöchstens Hellblau.

Und welche Möglichkeit bleibt Politikern, in der Öffentlichkeit optisch hervorzustechen?

Das geht schon, hat man ja in der Vergangenheit immer wieder gesehen. Denken Sie nur mal an das SPD-Urgestein Ludwig Stiegler mit seinem roten Pulli oder Hans-Dietrich Genscher und seinen gelben Pullunder. Aber um bei den Krawatten zu bleiben: Guido Westerwelle trug stets eine gelbe, Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel trugen eine rote.

Glauben Sie, dass Alexander Gauland 2017 bei der Bundestagswahl seine Jagdhund-Krawatte trug, um seine Ankündigung zu unterstreichen, er werde Merkel und ihre Regierung "jagen"?

Gauland kombiniert zu seinen Tweed-Sakkos eigentlich fast immer diese grüne Krawatte, von der man nicht weiß, ob es sich um gelbe Dackel oder andere Hunde handelt. Vermutlich hat er auch nur diese eine. Ich fürchte allerdings eher, das liegt am Geschmack.

Welche Krawatte würden Sie Olaf Scholz zur Vereidigung empfehlen, sollte er Kanzler werden?

Bei so einem Staatsakt rate ich zu einer dunkelblauen Krawatte, gegebenenfalls mit himmelblauen Streifen. Oder warum nicht auch eine rote, mit dezenten weißen Streifen, passend zum weißen Hemd - er ist schließlich Sozialdemokrat. Andererseits: Vielleicht schenkt ihm ja Christian Lindner zum Unterzeichnen des Koalitionsvertrags eine gelbe Krawatte. Oder, noch besser, Annalena Baerbock und Robert Habeck kommen zu uns in den Laden und sagen: Wir hätten gerne eine gelb-rot-grüne Ampelkrawatte. Ich möchte betonen, dass ich das nicht stilistisch gutheiße. Aber amüsant wäre es schon.

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