Süddeutsche Zeitung

Tiere:Die überragende, betrunkene, dicke Taube

Lesezeit: 2 min

Von Martin Zips

Noch nie war die Wahlbeteiligung so hoch wie in diesem Jahr, es wurden 48 000 gültige Stimmen abgegeben. Der Gewinner steht jetzt fest: Es ist die Maori-Fruchttaube. Sie schlägt mit 5833 gegen 3772 Stimmen klar den Kakapo. Der Wahlkampf war hart, die Fruchttaube hatte sogar einen eigenen Wahlkampf-Twitteraccount, auf dem sie ihr "buntes Gefieder", ihren "überragenden Umfang" und ihren Flügelschlag ("Flap Flap") anpries. Irritationen hatten Versuche ausgelöst, auch die Warzenscharbe zum Sieg zu führen. Doch das Team zur "Wahl des neuseeländischen Vogels 2018" entlarvte Hunderte in Australien offenbar in betrügerischer Absicht abgegebene Votes. Bei der Auszählung hatte die Warzenscharbe dann keine Chance mehr.

Nun gilt es, die Ergebnisse der Wahl zu analysieren. Beim Kakapo etwa, dessen Lebenserwartung bei 95 Jahren liegt, dürfte den Wählern vor allem sein Status als einziger flugunfähiger Papagei der Welt gefallen haben. Zu den Unterstützern seiner Wahl zählte zum Beispiel der britische Komiker Stephen Fry. Sein Kollege Bill Bailey hingegen sprach sich für die (am Ende leider chancenlose, ebenfalls fluguntüchtige) Takahe aus.

Schillernder Vogel versus graue Eminenz: Eine Maori-Fruchttaube, auch Kererū genannt,...

...und die deutsche Feldlerche - Vögel des Jahres mit unterschiedlichem Glamour-Faktor.

Dass sich schließlich die Maori-Fruchttaube (auf Maori: Kererū) durchsetzte, dürfte nach Einschätzung von Experten vor allem an ihrer großen Popularität in sozialen Netzwerken gelegen haben. Dort sind einzelne Kererū-Exemplare dabei zu sehen, wie sie, unter Alkoholeinfluss stehend, kopfüber an Bäumen hängen, absurde Flugmanöver starten oder von Tierschützern in eine Ausnüchterungsbox gesteckt werden. Tatsächlich zeigt die Taube einen deutlichen Hang zur gärenden Beere, welche sie regelmäßig in Rauschzustände versetzt.

"Solche Online-Abstimmungen zeigen doch nur, wie sehr wir uns weiter von der Natur entfremden", meint Hans-Günther Bauer vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. "Die Leute interessieren sich vor allem für Lebewesen mit Appeal. Schauen Sie sich doch mal diese Katzen-Videos im Internet an. Das Haustier ist derzeit dabei, dem Menschen das Wildtier zu ersetzen."

Der "Vogel des Jahres" ist eine deutsche Erfindung

Mit anderen Worten: Berücksichtigt man die Gesamtheit wirklich aller Vogelarten in Neuseeland, so wäre zum Beispiel die Wahl des Schwarzen Stelzenläufers die deutlich bessere gewesen. Im Gegensatz zur Maori-Fruchttaube, vor deren plötzlichem Einschlag in die Auto-Windschutzscheibe rund um Wellington sogar auf Verkehrsschildern gewarnt wird, ist der Stelzenläufer nämlich vom Aussterben bedroht. Wie übrigens gut 80 Prozent aller Vogelarten in Neuseeland. Nur um die Maori-Fruchttaube muss sich wirklich niemand Sorgen machen.

Um möglichst viele Wähler zu erreichen, hatte die neuseeländische Organisation "Forest and Bird" für ihre diesjährige Online-Abstimmung sogar erstmals auch auf Tinder geworben. Klar, da hängen auch viele komische Vögel ab. In Deutschland überlässt man die Vogel-Wahl einem eher unlustigen Experten-Gremium. Es soll verhindern, dass am Ende nur instagramfähiges Federvieh gewinnt.

Der "Vogel des Jahres" ist übrigens eine deutsche Erfindung. Erstmals vergeben wurde die Auszeichnung im Jahr 1971 vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und dem Landesbund für Vogelschutz in Bayern. Deutschland ist bei der Auszeichnung von Lebewesen seit jeher progressiv. Hierzulande werden nicht nur das Tier, der Fisch und der Vogel des Jahres gekürt - auch der Einzeller des Jahres wird erkoren: 2018 wurden so etwa die "Tintinnen", Wimperntiere, in den Rockstar-Status erhoben. Die Mikrobe des Jahres ist der Lactobacillus. Endlich! Die Anerkennung der Milchsäurebakterien war längst überfällig.

Dass vor wenigen Tagen hierzulande die Feldlerche die Wahl zum Vogel des Jahres gewann, hänge nicht etwa mit ihren Trinkgewohnheiten zusammen, meint ein Nabu-Fachmann, sondern damit, dass ihr Bestand wegen intensiver Landwirtschaft und Pestiziden gefährdet sei.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2018
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