Süddeutsche Zeitung

Sierra Leone:Der wohl berühmteste Baum Afrikas ist zerstört

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Jahrhundertelang war der Cotton Tree in Freetown für die Menschen in Sierra Leone ein Symbol gegen Sklaverei und Unterdrückung. Nun hat ein Sturm ihn zu Fall gebracht - ausgerechnet vor einem geschichtsträchtigen Tag.

Von Paul Munzinger

Sierra Leone trauert um einen Baum. Oder besser: um seinen Baum. Der Cotton Tree, nationales Symbol des westafrikanischen Landes und Wahrzeichen der Hauptstadt Freetown, steht nicht mehr. Ein Sturm hat den mächtigen und jahrhundertealten Wollbaum am späten Mittwochabend zu Fall gebracht. Viele Menschen in Sierra Leone teilten Bilder des abgebrochenen und dramatisch in den Nachthimmel ragenden Stammes in den sozialen Medien und verabschiedeten sich mit emotionalen Worten. Einen "großen Verlust für die Nation" beklagte Staatspräsident Julius Maada Bio, der Baum sei ein "Symbol der Freiheit" gewesen. "Das ist sehr traurig", twitterte der britische Schauspieler Idris Elba, dessen Vater aus Sierra Leone stammt.

Der 70 Meter hohe Cotton Tree stand auf einer Verkehrsinsel an einer vielbefahrenen Straße im Zentrum von Freetown, zwischen Nationalmuseum und Oberstem Gerichtshof. Für viele Menschen in dem 7,5-Millionen-Einwohner-Land hatte er große Bedeutung. "Paris hat den Eiffelturm, London den Big Ben. Und wir haben unseren Cotton Tree", sagte ein bekannter Radiomoderator einmal. Der Baum ist auf dem Zehn-Leone-Schein abgebildet, die Hauptstadt Freetown wird zu seinen Ehren manchmal als Tree-Town bezeichnet. Wer im Internet nach Sehenswürdigkeiten in der Stadt sucht, erhält als ersten Treffer: den Cotton Tree.

Die Stadt Freetown, auf einer Halbinsel am Atlantik gelegen, wurde Ende des 18. Jahrhunderts von ehemaligen Sklaven aus Nordamerika gegründet. Sie hatten auf Seiten der Briten gegen die amerikanische Unabhängigkeit gekämpft und waren dafür mit Land im Westen Afrikas belohnt worden: der Kolonie Sierra Leone. Als die Siedler 1792 mit ihren Schiffen die Küste erreichten, so wird es im Land bis heute überliefert, sahen sie landeinwärts einen mächtigen Baum. Unter dessen Krone versammelten sie sich zum ersten Gottesdienst in der neuen Heimat, der sie den Namen Freetown gaben, die freie Stadt.

Der Präsident will dem Baum ein Denkmal setzen

Bis heute ist der Cotton Tree deshalb nicht nur in Sierra Leone ein Symbol für Freiheit und die Überwindung der Sklaverei, auch wenn sich viele Hoffnungen von damals nicht erfüllt haben. Schon 1808 wurde Sierra Leone als Kronkolonie ins britische Empire eingegliedert, bis zur Unabhängigkeit 1961 dauerte es eineinhalb Jahrhunderte; heute ist Sierra Leone eines der ärmsten Länder der Welt.

Nun endete die Geschichte des Cotton Tree ausgerechnet am Vorabend des 25. Mai, dem sogenannten Afrikatag, an dem viele Staaten des Kontinents das Ende der Kolonialzeit feiern. Am 25. Mai 1963, vor genau 60 Jahren, wurde die Organisation für Afrikanische Einheit gegründet, Vorläufer der Afrikanischen Union. An Symbolik mangelt es in der Geschichte des Baums wahrlich nicht.

Präsident Julius Maada Bio versprach bereits mitten in der Nacht, dem Cotton Tree ein Denkmal zu setzen. Ob es wieder ein Baum sein wird, eine Gedenktafel oder etwas anderes, ließ er offen. Der umgestürzte Cotton Tree soll zumindest teilweise in ein Museum kommen, kündigte Bio am Donnerstag bei einem Besuch der Umfallstelle an. Es handle sich hier nicht einfach um einen Baum, sondern um eine "Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft", die man nun "unsterblich machen" müsse.

Bio befindet sich mitten im Wahlkampf, am 24. Juni wird gewählt in Sierra Leone. Die Zerstörung eines Nationalsymbols ist da wenig hilfreich, zumal man auf Fotos sogar noch ein Wahlplakat des Präsidenten an den Überresten des Stammes sehen kann. Einige Stimmen wollen bereits eine Art Menetekel für Bio erkennen. Sein Herausforderer Samura Kamara bezeichnete den Sturz des Cotton Tree als "deutliche Erinnerung, dass wir die Dinge anders angehen müssen, auf eine Art, die Freiheit und Wohlstand für alle garantiert". Präsident Bio dürfte deshalb alles versuchen, um das Bild des zerstörten Baumes schleunigst durch neue, hoffnungsvollere Bilder zu ersetzen.

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