Süddeutsche Zeitung

Schmerzmittel-Skandal in Nigeria:Tödliche Medizin

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Mehr als 80 Kinder sterben in Nigeria nach der Einnahme der mit Frostschutzmittel gepanschten Arznei "My Pikin". Der Staat wirkt ohnmächtig - obwohl er Erfahrung mit vergifteten Medikamenten hat.

Arne Perras

Die Kleine war ihr ganzer Stolz. Und wuchs sie nicht prächtig heran? Zuletzt hatte sie sogar versucht, erste Schritte zu unternehmen. Chidinma hieß das Mädchen, es war ihr einziges Kind.

Njoku und Edith Bright aus Nigeria verloren ihre Tochter, als sie 14 Monate alt war. Das war am 2. Dezember 2008. Der Doktor konnte sich den plötzlichen Tod des Kindes damals nicht erklären. Und vielleicht hätten die Eltern ein Leben lang gerätselt, warum das Schicksal gerade sie so grausam traf - wo ihnen Gott doch nur dieses eine Kind geschenkt hatte.

Doch dann kam der Vater eines Tages an einem Zeitungsstand vorbei: "Killer-Sirup tötet Babies", stand da. Und auf dem Foto war das Bild einer Arzneiflasche zu sehen, mit der Aufschrift "My Pikin". Im Dialekt der einfachen Leute heißt das so viel wie "mein Kind". Der Mann erstarrte. Genau dieselbe Flasche hatte er vor kurzem in den Händen seiner Frau gesehen. Sie hatte den Saft gekauft, um die Schmerzen ihrer Tochter zu lindern, die gerade zahnte. Doch der Sirup brachte das kleine Mädchen ins Grab.

Chidinma Bright war eines der ersten Kinder, die nach der Einnahme von "My Pikin" starben, die Zeitung Vanguard hat ihr Schicksal aufgeschrieben. Es war der Anfang eines Medizin-Skandals, dessen wahres Ausmaß noch gar nicht erfasst werden kann. Bislang sind bereits 84 Kinder an den Folgen der Behandlung mit "My Pikin" in Nigeria gestorben.

Niemand weiß, wie viele Eltern den Saft für ihre Kinder gekauft haben und um die tödliche Wirkung gar nicht wissen. Der Staat wirkt ohnmächtig. Dabei hat Nigeria schon reichlich Erfahrung mit vergifteten Arzneien. 1990 verloren bei einem ähnlichen Skandal mehr als 100 Kinder ihr Leben. Babies, die "My Pikin" einnehmen, sterben oft an akutem Nierenversagen, ihre Lungen füllen sich mit Flüssigkeit, sie können nicht mehr atmen. Stundenlang mussten Chidinmas Eltern zusehen, wie ihre Tochter im Klinikbett kämpfte. "Um ein Uhr nachts hat sie dann ihren letzten Atemzug gemacht. Einfach so", erinnert sich der Vater.

Bewunderung für China

Nach bisherigen Erkenntnissen ist das Schmerzgel, das den Wirkstoff Paracetamol enthält, mit Diethylenglykol versetzt worden, einem Frostschutzmittel. Die nigerianische Firma Barewa Pharmaceutical hatte die Chemikalien offenbar von einem Händler in einem Slum in Lagos gekauft. Ob sie wussten, was sie da geliefert bekamen, ist unklar.

Der Staat hatte den Betrieb noch vor Weihnachten geschlossen. Doch der Skandal wirft ein düsteres Licht auf die Zustände im bevölkerungsreichsten Staat Afrikas, in dem die Korruption blüht und die Behörden ihren Aufgaben nicht gewachsen sind.

Viele Nigerianer fragen sich: Wie konnte es sein, dass das Gift in tausenden Flaschen in Umlauf kam? Warum werden die Täter nicht konsequent verfolgt? Es hat zwar einige Festnahmen gegeben, doch die Medien in Nigeria kritisieren, dass die Justiz die Fälle nicht ernst genug nehme. Ärzte vermuten indes, dass die tatsächliche Zahl der Opfer viel höher ist. Denn registriert sind ja nur diejenigen Kinder, die in ein Hospital eingeliefert wurden. Es ist zu vermuten, dass es viele arme Patienten gar nicht mehr in eine Klinik schafften. Oft können sie eine Behandlung dort nicht bezahlen.

Aufklärung erreicht nicht alle

Die Aufklärung des Staates hat spät begonnen und dürfte längst nicht alle Menschen in den Elendsvierteln erreichen. Der Staat hat Apotheken aufgerufen, die Flaschen mit der vergifteten Medizin an die Kontrollbehörde zurückzugeben. Doch es ist zu bezweifeln, dass damit alle Vorräte aus dem Handel verschwinden. Denn es gibt zehntausende nicht registrierte Läden in Nigeria, die ohne Lizenz Medizin verkaufen.

Zeitungen ziehen nun Vergleiche mit dem Milchskandal in China, wo vergifte Produkte mindestens sechs Kinder töteten. Mit einer gewissen Bewunderung wird in Nigeria notiert, dass die chinesischen Richter immerhin zwei Todesurteile ausgesprochen hätten. Dass die Behörden auch dort beim Schutz der Kunden versagt hatten, wird nicht weiter erwähnt. Stattdessen urteilt ein Kommentator in der Tageszeitung This Day wütend, dass derartige Verbrechen in Nigeria als Bagatellen betrachtet würden.

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SZ vom 09. Februar 2009/dmo
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