Süddeutsche Zeitung

Regelungen im Luftverkehr:Fatale Routenplanung

Lesezeit: 3 min

Fluggesellschaften stecken in einem Dilemma: Einerseits sollen sie eine kurze, kostengünstige Route wählen. Andererseits halten sie sich an die Restriktionen von diversen Organisationen. Bei der Einschätzung der Sicherheitslage müssen sie sich auf lokale Behörden verlassen - im Fall von MH17 mit fatalen Folgen.

Von Jens Flottau

Kurz nachdem am Donnerstag die ersten Nachrichten vom Verschwinden von Flug MH17 auftauchten, tat sich auf den Flug-Webseiten ein eigenartiges Bild auf. Man kann bei diesen Diensten, ähnlich wie die Fluglotsen, live verfolgen, wo sich gerade Flugzeuge über einer bestimmten Region befinden und in welcher Höhe und Richtung sie fliegen. Ungefähr von Freitagmittag an begannen die Punkte auf dem Bildschirm einen großen Bogen um den östlichen Teil der Ukraine zu machen. Manche der Maschinen, wie ein Emirates-Flug von Dubai nach Kiew, drehten sogar ganz ab und kehrten zu ihrem Startflughafen zurück. Mittlerweile wagt sich kein ziviles Flugzeug mehr in die Region. Die Frage, die sich viele stellen, lautet: warum erst jetzt?

Zur mutmaßlichen Abschusszeit galten über der Ukraine Flugrestriktionen, doch MH17 befand sich in einem für den zivilen Flugverkehr geöffneten Teil des Luftraums. Die amerikanische Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA) hatte bereits am 3. April amerikanischen Fluggesellschaften untersagt, den Luftraum über der Krim und den anliegenden Regionen in der Südostukraine zu überfliegen. MH17 wurde aber viel weiter nördlich von der Rakete getroffen. Die ukrainischen Behörden selbst hatten erst am vergangenen Montag verfügt, dass Flüge über der Region bestimmte Flughöhen vermeiden sollten. Sie durften seither nicht mehr zwischen 26 000 und 32 000 Fuß hoch fliegen, also unterhalb von gut zehn Kilometern Flughöhe. MH17 war auf 33 000 Fuß unterwegs, also etwa 300 Meter über dem gesperrten Luftraum. Die Ukrainer waren davon ausgegangen, dass Flugzeuge in dieser Höhe für kleine tragbare Raketen nicht mehr erreichbar sind, selbst wenn jemand auf sie zielen würde. Doch offenbar hatten sie in dieses Kalkül nicht einbezogen, dass die Separatisten über große Boden-Luft-Raketen verfügen könnten, die auf schweren Fahrzeugen montiert sind.

Wer wann welchen Luftraum für wen sperrt, ist eine ziemlich komplizierte Angelegenheit. In der Regel sind die Behörden des Landes zuständig, um dessen Luftraum es geht. Wie aber der aktuelle Fall zeigt, können auch ausländische Luftfahrtbehörden die aus ihrem Aufsichtsbereich stammenden Fluggesellschaften anweisen, bestimmte Regionen zu meiden, die sie für zu gefährlich halten. Dabei handelt es sich aber nur in den wenigsten Fällen um echte Flugverbote, sondern eher um Restriktionen unterschiedlicher Form. Diese werden in der Regel in einer sogenannten Notice to Airmen international veröffentlicht, kurz Notam.

Die amerikanische FAA hat auch dabei international eine Führungsrolle. Sie ist zwar streng genommen nur für die amerikanischen Airlines zuständig, in der Regel schließen sich jedoch andere Behörden ihren Empfehlungen an. Nicht immer allerdings, denn mitunter sind die FAA-Entscheidungen auch politisch beeinflusst. Als die Behörde den eigenen Airlines untersagte, die Krim zu überfliegen, lag das weniger daran, dass man in Washington einen Anschlag wie den auf MH17 befürchtete. Es war auch und vor allem ein politisches Signal Richtung Moskau. Die Notams laufen über die International Civil Aviation Organization (ICAO), eine Unterorganisation der Vereinten Nationen. Sie gelten in der Regel für zunächst einmal höchstens drei Monate. Werden sie dann nicht zurückgenommen, gelten sie automatisch als Standard.

Flugroute über die Ukraine entsprach internationalen Gepflogenheiten

Der ukrainische Luftraum liegt bei vielen wichtigen Verbindungen zwischen Europa und Südostasien genau auf dem Weg. Um ihn herum zu fliegen, würde in der Regel hohe Zusatzkosten für die Fluggesellschaften bedeuten, weil sich die Strecke deutlich verlängern würde. Bei den meisten Airlines ist jedoch Treibstoff bei den Kosten mittlerweile der größte Einzelposten.

Die Entscheidung von Malaysia Airlines, noch am Donnerstag den Luftraum über der Ukraine zu nutzen, entsprach durchaus internationalen Gepflogenheiten. Fast alle großen asiatischen und viele europäische Fluggesellschaften inklusive der Lufthansa wichen bis dahin nicht großräumig aus. Nur die australische Qantas hatte sich entschieden, die Region grundsätzlich zu umfliegen.

Airlines stecken in einem Dilemma. Sie haben ein Interesse daran, die wirtschaftlichste Route zu fliegen, sie halten sich andererseits aber in der Regel an die Restriktionen durch Notams und andere Verfahren. Sie betreiben ihr Geschäft weltweit, die großen haben eigene Abteilungen, die die Sicherheitslage in vielen Regionen der Welt zu beurteilen versuchen und um sich neben den behördlichen Auflagen auch eine eigene Meinung zu bilden. Doch oft sind sie dabei überfordert und müssen sich auf die Einschätzungen der lokalen Behörden verlassen. Wie sich im Fall des Fluges MH17 erwiesen hat, können die sich indes auf fatale Weise täuschen.

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Quelle:
SZ vom 19.07.2014
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