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Justiz:Wie der Rechtsstreit günstiger wird

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Roboteranwälte, Schlichtungsverfahren und Prozesskostenhilfe sind drei Möglichkeiten, teure Verfahren zu vermeiden. Doch in welchen Fällen kommen sie in Betracht? Eine Übersicht.

Von Wolfgang Janisch

Rechtsschutz auf Algorithmenbasis

Im Internet bekommt man inzwischen immer häufiger Rechtsschutz auf Algorithmenbasis angeboten. Die Angebote heißen Flightright oder Geblitzt, Zug-erstattung , Bahn-buddy, oder auch Hartz4widerspruch. Alles kostenlos und sofort, "Erstattung und Entschädigung in drei Minuten beantragen", heißt es dann zum Beispiel. Es ist, mit anderen Worten, eine technikbasierte Alternative zur Welt der staubigen Prozessakten und langen Verfahrensdauern. Bisweilen wird suggeriert, die "Roboteranwälte" könnten dank künstlicher Intelligenz gleich wesentliche Teile der traditionellen Juristenjobs übernehmen.

Schon die Kurztitel der als "Legal Tech" zusammengefassten Angebote zeigen freilich, es geht vorwiegend um einfache Sachverhalte mit eindeutigen Rechtsfolgen. Verspätete Bahnen, ausgefallene Flüge oder Knöllchen - vieles davon ist von sehr überschaubarer Komplexität und lässt sich standardisiert abwickeln, nach dem Schema: Wenn A, dann B. Deshalb ist es ein wenig hoch gegriffen, von "künstlicher Intelligenz" zu sprechen; Automatisierung wäre meist das treffendere Wort. Wenn es schwierig wird, müssen immer noch Menschen ran. "Denn Algorithmen können keine Analogien bilden", sagt der Rechtsprofessor Christian Wolf. Und so dienen manche dieser Angebote auch der Akquise neuer Mandate, die dann von echten Anwälten abgewickelt werden.

Das Problem solcher Portale ist, dass sie oft auf Erfolgsbasis arbeiten - was ihnen aber nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz nicht erlaubt wäre. Deshalb firmieren viele von ihnen als Inkassounternehmen, die lediglich Forderungen eintreiben, aber angeblich keine Rechtsberatung bieten. Ob das zulässig ist, wird demnächst erstmals der Bundesgerichtshof überprüfen. Am 12. Juni verhandelt er über die Angebote der Berliner Firma Mietright, es geht um Ansprüche im Zusammenhang mit der Mietpreisbremse.

Das Verfahren dürfte für die gesamte neue Branche von Bedeutung sein. Ist das bereits eine "Rechtsdienstleistung", die in dieser Form nicht erlaubt wäre? Die unteren Instanzen sind in der Frage uneins. Je nachdem, wie das Urteil ausfällt, könnte auch der Gesetzgeber gefragt sein. Die FDP hat bereits einen Vorstoß unternommen, automatisierte Rechtsdienstleistungen zu regeln. Und Professor Wolf schlägt vor, solche Start-ups von einer Genehmigung des Bundesamts für Justiz abhängig zu machen - um den Wildwuchs im Netz zu verhindern.

Schlichtungsverfahren

Zwar liegt Deutschland bei der sogenannten Verbraucherschlichtung noch weit hinter Frankreich und Großbritannien zurück - aber die Liste der anerkannten Schlichtungsstellen wird von Jahr zu Jahr länger. Denn 2016 trat das auf eine EU-Richtlinie zurückgehende Gesetz über die "alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen" in Kraft, das einen gewissen Schub ausgelöst hat. Inzwischen führt das Bundesamt für Justiz, das den Schlichtern eine Art Gütesiegel in Sachen Unparteilichkeit verleiht, 27 solcher Institutionen. Allen voran der Versicherungsombudsmann mit zuletzt fast 20 000 Anträgen pro Jahr, dahinter die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr mit 15 600 Anträgen. Großen Zulauf haben auch die Ombudsleute der Privatbanken sowie der privaten Kranken- und Pflegeversicherung und die Schlichtungsstelle Energie - jeweils mit 5000 bis 7000 Anträgen jährlich.

Inzwischen ist fast die gesamte Palette des Verbraucherlebens abgedeckt - Bankgeschäfte, Flugbuchungen, Telekommunikation, selbst Anwaltsmandate. Die Idee ist, den Verbrauchern außerhalb der Gerichte eine schnelle und günstige Möglichkeit zu bieten, juristische Konflikte beizulegen. Einen Antrag kann man online auf der Website der jeweiligen Stelle einreichen, und in der Tat sind die Angebote fast durchgängig kostenlos; missbräuchliche Anträge können allerdings Geld kosten. Nach dem Schlichtungsbericht 2018, erstellt vom Bundesamt für Justiz, geht es auch einigermaßen schnell. Alle Stellen halten demnach die gesetzliche Frist von 90 Tagen ein, oft liegen sie darunter.

Wie erfolgreich die Einigungsversuche sind, lässt sich schwer ermessen. Viele Anträge scheitern an den Formalien, zum Beispiel daran, dass sich der Verbraucher mit seiner Beschwerde nicht zuerst an das Unternehmen selbst gewandt hat. Oder weil er die falsche Schlichtungsstelle ausgesucht hat. Anträge können aber auch abgewiesen werden, weil sie für eine Schlichtung - die eben kein Gerichtsverfahren ist - einfach zu aufwendig sind. Immerhin weist der Schlichtungsbericht eine Einigungsquote von 50 Prozent aus. Ob der Schlichterspruch bindend ist, hängt von der jeweiligen Stelle ab. Manchmal reicht es, wenn der Verbraucher ja sagt, meist müssen aber beide Seiten zustimmen. Immerhin: In einigen Fällen, etwa beim Streit um die Belieferung mit Energie, ist für die Unternehmen die Teilnahme an der Schlichtung gesetzliche Pflicht.

Prozesskostenhilfe

Früher sagte man dazu "Armenrecht". Wer es in Anspruch nehmen wollte, der benötigte eine Bestätigung der Gemeinde - das "Armutszeugnis". 1981 wurde die Armut vor Gericht abgeschafft, wenn auch nur in sprachlicher Hinsicht. Seither spricht man von "Prozesskostenhilfe" (PKH), oder, wenn es nur um den Rat vom Anwalt geht, um "Beratungshilfe".

Erste Voraussetzung, um staatliche Hilfe beim Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können, ist die Abgabe einer "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse". Zuständig ist das Gericht, bei dem der Prozess zu führen wäre. Oder, wenn es nur um einen Beratungshilfeschein geht, das örtliche Amtsgericht; man kann aber auch gleich zum Anwalt gehen, der dann den Antrag stellt. Ob man wirklich bedürftig ist, kann zwar kompliziert herauszufinden sein. Bezieht der Antragsteller - wie häufig in diesen Fällen - Hartz IV, dann ist die Sache rasch geklärt.

Allerdings bedeutet PKH keine Einladung, auf Staatskosten Prozesse nach Gusto zu führen. Erstens springt der Staat nur ein, wenn der Fall eine "hinreichende Erfolgsaussicht" bietet; aussichtslose Klagen werden also aussortiert. Das kann durchaus Vorteile haben. Wer beim PKH-Antrag grünes Licht bekommen hat, der hat einen Anhaltspunkt dafür, dass er auch im Hauptsacheverfahren gewinnen könnte. Das gilt freilich nur, wenn es vorwiegend um rechtliche Fragen geht. Hängt das Schicksal des Prozesses - wie etwa bei Verkehrsunfällen - dagegen von einem Sachverständigengutachten ab, das bei der PKH-Prüfung natürlich noch nicht vorliegt, dann ist der Probelauf nicht aussagekräftig.

Zweitens darf die Klage nicht "mutwillig" sein. Und drittens bleibt ein Risiko: Wer am Ende verliert, muss zwar weder Gerichtskosten noch den eigenen Anwalt bezahlen, wohl aber den Anwalt des Gegners. Eine besonders große Rolle spielt die staatliche Unterstützung im Familien-, Miet- und Arbeitsrecht, also in den typischen Alltagskonflikten. Rechtsanwälte sind oft nicht sonderlich scharf auf solche Mandate, weil sie dann zu geringeren Gebühren arbeiten müssen - Beratungshilfe dürfen sie aber nur aus "sachlichen Gründen" ablehnen ("übervoller Terminkalender"). Wenn sie gewinnen, können sie sich den vollen Gebührensatz vom Gegner holen. Übrigens kann so ein Prozess auch die Armut beenden. Wer mit 100 000 Euro Pflichtteil aus dem Verfahren rauskommt, muss staatliche Hilfen zurückzahlen.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2019
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