Süddeutsche Zeitung

Fall Rebecca:Ermittler setzten bedenkliches Überwachungssystem ein

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Von Ronen Steinke, Berlin

Wer in der U-Bahn an einer Überwachungskamera vorbeiläuft, der passiert ein eher tumbes Stück Technik. Die Kamera erkennt die Leute nicht, sie weiß keine Namen, sie merkt sich nicht, zu welcher Uhrzeit Frau Mayer unterwegs ist, und sie kann deshalb auch nicht von sich aus neugierig werden, wenn Frau Mayer plötzlich mal in einen anderen Teil der Stadt fährt. Bei den Kameras, die an der Autobahn Nummernschilder scannen, ist das anders. So erkennt das Kennzeichenerfassungssystem (Kesy) in Brandenburg jedes Fahrzeug und kann es einem Halter zuordnen. Auf diese Weise ist auch der Renault Twingo des Schwagers von Rebecca ins Visier der Ermittler geraten, der am Tag von Rebeccas Verschwinden auf der Autobahn zwischen Berlin und Frankfurt (Oder)

unterwegs war (siehe Bericht links). Diese Art von Videoüberwachung greift deshalb wesentlich tiefer in die Rechte der Erfassten ein. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt: Es braucht einen sehr triftigen Grund, bevor der Staat diese intensive Form der Überwachung anwenden darf. "Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne (...) hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Rechenschaft ablegen zu müssen", so die Karlsruher Richter. "Jederzeit an jeder Stelle unbemerkt registriert und darauf überprüft werden zu können, ob man auf irgendeiner Fahndungsliste steht oder sonst in einem Datenbestand erfasst ist, wäre damit unvereinbar", heißt es in dem Beschluss vom Dezember 2018.

Speichern ohne Anlass ist unzulässig

Deshalb braucht das Land Brandenburg jetzt eine gute Erklärung. Denn die dortige Polizei hat alle Fahrzeuge auf einer Autobahn gescannt und die Daten tagelang gespeichert, auch das Auto des Schwagers, gegen den es zu diesem Zeitpunkt gar keinen Verdacht gab; der kam erst später auf. Laut Bundesverfassungsgericht darf es eine generelle Speicherung ohne Anlass nicht geben. Im Freistaat Bayern erlaubten die Richter eine solche Rasterfahndung nur in einem 30-Kilometer-Korridor an der Grenze - weil dort besondere Gefahren gälten. Damit argumentiert auch das Innenministerium in Brandenburg: In Polen habe wenige Tage vor Rebeccas Verschwinden eine Nahost-Konferenz stattgefunden, weswegen man als Teil des Terrorabwehrkonzepts die Bewegung aller Autofahrer auf dem Weg von und nach Polen gespeichert habe. Ob das legal war, dürfte bald Karlsruhe diskutieren.

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Quelle:
SZ vom 23.03.2019
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