Süddeutsche Zeitung

Prozess um Billig-Silikon:"Unsere Hausmischung"

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Weltweit fügte er 300.000 Frauen Leid zu, doch von Einsicht ist keine Spur: Ein Gericht hat Jean-Claude Mas zu vier Jahren Haft verurteilt, weil er jahrelang Brustimplantate aus billigem Silikon fabrizierte. Trotzdem fuhr er nach dem Urteil als freier Mann nach Hause.

Von Christian Wernicke, Paris

Den Hunderttausenden Frauen in aller Welt, denen Jean-Claude Mas mit seinen Billig-Brustimplantaten Leid zugefügt hat, vermag auch dieses Urteil nicht zu helfen. "Vier Jahre Haft - das wären ein paar Minuten für jedes Opfer", hatte Joëlle Manighetti schon vor dem Schuldspruch ausgerechnet. Dann hatte die 57-Jährige, die seit Jahren mit den Folgen von Mas' Pfuscherei kämpft, resigniert gelächelt: "Aber vielleicht bringt ihn das zum Nachdenken."

Selbst diese Hoffnung scheint vergeblich zu sein, wie sich am Dienstag zeigte: Da verurteilte ein Strafgericht in Marseille den 74-jährigen Jean-Claude Mas, der mit seiner Firma "Poly Implant Prothèse" (PIP) Millionen gemacht hatte, wegen schwerer Täuschung und Betrugs zu vier Jahren Haft ohne Bewährung. Einsicht zeigte Mas nicht: Sein Anwalt kündigte Berufung an - und fuhr Mas als freien Mann heim.

Beinahe zehn Jahre lang, von 2001 bis 2010, hatte Mas in seinem Unternehmen im südfranzösischen La-Seyne-sur-Mer seine Billig-Prothesen fabriziert. Statt hochwertiges Gel zu verwenden, pumpten seine 120 Mitarbeiter billiges Industriesilikon in die Implantate. Mas nannte das Zeugs "unsere Hausmischung".

Noch im April hatte sich der graubärtige Mann vor Gericht überzeugt gezeigt, sein Produkt sei "perfekt" und "keineswegs gefährlich" gewesen. Hunderte Frauen, die damals im Gerichtssaal saßen, quittierten Mas' Einlassungen mit Buhrufen. Sie winkten empört ab, als er sie um Entschuldigung bat. Alle Prozessbeobachter wussten, was Mas während der polizeilichen Vernehmungen erklärt hatte - dass er schlicht "nichts" empfinde für seine weltweit 300.000 Opfer, darunter 5000 aus Deutschland.

Zu den Hunderttausenden gehören Menschen wie Joëlle Manighetti: Nach einer Krebsoperation ließ sich die Französin im November 2009 ihre Brust mit einer Prothese rekonstruieren. Nach nur drei Wochen kam es zu Entzündungen und Schwellungen. Ihr Arzt war ratlos, dann entdeckte Manighetti die Ursache ihres Leids im Fernsehen: Im März 2010 flog PIP auf. Tatsächlich ergab die nächste Untersuchung, dass ihr Implantat gerissen und Silikon ausgetreten war. Wieder und wieder musste Manighetti sich operieren lassen, zwei Jahre lang konnte sie nicht arbeiten. Die Narben sind geblieben, an Körper und Seele.

Auf Entschädigung können die Frauen kaum hoffen

Zahlen aus Frankreich belegen, was Mas angerichtet hat. Von den etwa 30.000 Patientinnen mit PIP-Implantaten dort ließen mehr als 17.000 ihre Prothesen entfernen. In 7540 Fällen - bei mehr als jedem vierten Implantat - offenbarten sich Schäden. Über 4500-mal war die Außenhülle gerissen, bei weiteren 2100 PIP-Prothesen war das Billig-Silikon durch die Hülle ins Körpergewebe gesickert. Als ein schwacher Trost bleibt den Opfern, dass Mas' "Hausmischung" nach bisherigen Tests nicht krebserregend zu sein scheint.

Auf Entschädigung können die Frauen kaum hoffen. Das Vermögen, das Jean-Claude Mas mit seinem Billig-Gel gemacht hatte - die Ermittler gehen von jährlich einer Million Euro Gewinn aus -, hat er seiner Frau überschrieben, im Kasino verspielt und bei Finanzschiebereien verloren. Er sei pleite, versichert Mas, während die Justiz noch wegen betrügerischen Konkurses ermittelt. Auch bei vier PIP-Angestellten, die am Dienstag zu Haftstrafen zwischen 18 Monaten auf Bewährung und drei Jahren Gefängnis verurteilt wurden, ist nichts zu holen.

Erst im November hatte ein Handelsgericht in Toulon zwar den TÜV Rheinland, der die PIP-Implantate jahrelang zertifiziert hatte, zur Zahlung von je 3000 Euro Schadensersatz an 1600 klagende Frauen verurteilt. Aber der TÜV ging in Berufung - und sieht sich seit Dienstag gestärkt: Das Strafgericht befand, PIP-Boss Mas habe auch die Kontrolleure getäuscht. Er fälschte Computerdaten und versteckte das Billig-Silikon, wann immer sich die Prüfer ankündigten. Sobald sie weg waren, floss Champagner.

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Quelle:
SZ vom 11.12.2013
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