Süddeutsche Zeitung

Mode:Fashion Week Paris: Kraftlose Kollektionen

Lesezeit: 5 min

Gleich mehrere Pariser Traditionsmodehäuser stehen gerade ohne Kreativdirektor da. Mit der Schnelligkeit der Branche kann selbst das beste Personal kaum Schritt halten.

Von Tanja Rest

Als die Arbeit getan und das Defilee vorüber ist, zieht sich der große Couturier von der Mode zurück, um seinen Kopf etwas durchzulüften. Er nimmt sich einen Monat Zeit. "Ich fürchte mich davor", schreibt er in seiner Autobiografie, "in dieser Phase unreife Entwürfe auszubrüten, deren Fehlerhaftigkeit mich später quälen wird." Danach begibt er sich in sein Haus am Meer. Zeichnet Tag und Nacht, zu Tisch, im Bad, im Bett, er zeichnet Kleider und versucht gleichzeitig, nicht an Kleider zu denken. Er verhält sich "wie ein Bäcker, der weiß, dass man einen Teig gut durchkneten und dann gehen lassen muss." Aber, ach - wie schwer ist das! Die beschleunigte Gegenwart lässt kaum noch Raum für das Kneten von Gedanken. Sie beginnt, den großen Couturier zu quälen.

"Ich habe nie mehr als drei Monate Zeit, um über die vergangene Kollektion nachzusinnen, bevor ich schon wieder an die nächste denken muss": Das sind die Worte von Christian Dior, gedruckt 1957.

Sechs Jahrzehnte später ist die Situation folgende: Ein Dior-Designer entwirft sechs Kollektionen im Jahr, zweimal Couture, zweimal Prêt-à-porter, eine Pre-Fall, eine Cruise; die Capsule-Collections außer der Reihe noch nicht mitgerechnet. Er muss bei Store-Eröffnungen anwesend sein, Interviews geben, Kunden charmieren, Kampagnen lancieren, Settings imaginieren, allzeit präsent und alert, und wenn er ein guter Junge ist, macht er nebenbei noch Social Media. Zeit zum Nachdenken über die vergangene Kollektion: null. Zeit zum Arbeiten an der nächsten: drei bis vier Wochen. Das Schicksal der beiden letzten Dior-Designer? Erzählt viel über den Zustand der Branche. Der eine, Galliano, lallte im Suff von seiner Liebe zu Hitler und wurde gefeuert. Der andere, Simons, stieg im Oktober nach drei umjubelten Jahren freiwillig aus. Er sehnte sich nach Ruhe.

Wie lange würde Christian Dior heute bei Dior wohl überdauern: Zwei Saisons?

Da klingt es fast wie Hohn, als die Show im Innenhof des Louvre mit einem Chor beginnt, der das Wort "time" anstimmt. Zeit: Das war es, wonach sich Raf Simons bei Dior verzehrte. Ein neuer Kreativchef ist noch nicht gefunden. Was für eine undankbare Aufgabe für Lucie Meier und Serge Ruffieux, die beiden Leiter des Designteams - sie können, wenn sie den Schaden nicht vergrößern wollen, hier eigentlich nur die ganz sichere Nummer runterbeten. Und genau das tun sie auch. Durch runde Gangways wie aus einem Siebzigerjahre-Raumschiff kommt jetzt nämlich Dior pur: schwarze Schößchenjacken, auf Taille geschnittene Kurzmäntel und glockig-kurze Röcke, die genau richtige Dosis an Farbe, Mustern und Stickereien, hier und da eine Asymmetrie oder eine nackte Schulter. Das ist nahezu perfekt.

Eine Kollektion ohne Designer

Und eben da liegt die Crux, denn nichts ist ja leerer und flüchtiger als Perfektion. Was man hier sieht, ist eine Kollektion ohne erkennbares Thema, ohne Ziel, ohne Ecken, über die das Auge stolpern könnte, auf dass sie sich einbrennen im Gedächtnis für immer. Eine Kollektion ohne Designer. "Ich will Raf zurück", murmelt es vom Platz nebenan. Gewiss. Unter den vorliegenden Umständen war das Dior-Defilee allerdings ein Ausbund an Tapferkeit und ästhetischem Beharrungswillen, das weiß man zu diesem Zeitpunkt schon. Weil man am Vorabend Lanvin gesehen hat.

Dort ist die Situation noch heilloser. Nach 14 ertragreichen Jahren ist der Designer Alber Elbaz entlassen worden, weil der Umsatz stagnierte; ein Rechtsstreit droht, ein Nachfolger ist nicht in Sicht, die Kollektion für Herbst und Winter hat das Designteam gemacht. Wie bei Dior. Nur dass bei Lanvin von Lanvin nicht viel übrig geblieben ist, es fehlt eigentlich alles. Die Rasanz der Silhouette. Die animalische Lebendigkeit der Stoffe an superdynamischen, selbstbewussten Körpern. Das perverse Prickeln des Luxus. Der Sex. Die Stars. Nicht mal Catherine Deneuve ist gekommen. Am Ende tritt hier kein Mensch aus der Kulisse. Es folgt bedröppelter Applaus, das Publikum verläuft sich schnell.

Geld, Ruhm, First-Class-Flüge, Privatchauffeur - und im Gegenzug das Leben

Dass zwei Pariser Traditionshäuser nach fünf Monaten immer noch ohne Kreativchef dastehen und ein drittes (Saint Laurent) wohl bald hinzustoßen wird, wirft kein so gutes Licht auf den Job. Wer würde auch so leben wollen? Ein Top-Designer, der bei einem großen Label unterschreibt, geht heute einen unheimlichen Handel ein: Geld, Ruhm, First-Class-Flüge und Privatchauffeur, das ganz große Verwöhnaroma, und im Gegenzug sein Leben. Aber dies nur unter der Bedingung, dass die Kasse stimmt, sonst sind auch 16-Stunden-Tage nichts mehr wert. Mode bleibt Business, nur die Klamotten sind hier besser.

Bei Balenciaga war die Kasse zuletzt praller denn je, und Alexander Wang ist trotzdem weg. Keine Lust mehr auf den Zirkus. Mehr Zeit für sein eigenes Label. Der künstlerische Verlust ist überschaubar, und in diesem Fall gibt es tatsächlich einen Nachfolger, der den Hype gerade vor sich herschiebt wie ein Seinedampfer das Wasser. Sein Name: Demna Gvasalia, ein Deutscher mit georgischen Wurzeln, Erfinder des aktuell brandheißen Labels Vêtements. Nie gehört? Das ist unbedingt gut! Der Mann befindet sich gerade in dem Stadium, das die ohnehin sirenenhafte Stimmlage der Branche noch eine Oktave höher katapultiert: außerhalb der Fashion-Blase praktisch unbekannt, innerhalb jedermanns spannendste Neuentdeckung.

Gvasalia dekonstruiert bekannte Designs und setzt sie neu zusammen, so provokant und radikal wie einst der junge Martin Margiela (mit dem er gearbeitet hat). Seine Vintage-Jeans, aus alten Modellen zusammengenäht, kosten bei Net-a-porter tausend Euro und sind ausverkauft. In der Show von Vêtements kann man die DNA dieses Designers besichtigen: absurd breite Schultern, einarmige Hemden, XXXL-Hoodies, Motto-Shirts ("You fuck'n asshole"). Begeisterte Zustimmung. Am Sonntag dann das Balenciaga-Debüt. Die Plätze für diese Show sind legendär rar, dafür erscheint pünktlich zu Gvasalias Dienstantritt die Balenciaga-App. Eine Modenschau im 360-Grad-Panorama auf dem Bildschirm eines iPhone 4 zu betrachten, ist eine Erfahrung, die man so schnell nicht wiederholen will. Dafür fluten die Fotos Minuten später das Netz.

Die Berufung des Vêtements-Designers zu Balenciaga ist insofern plausibel, als es bei beiden Marken um Volumen geht. Allerdings wird man bei dieser Kollektion im Laden ordentlich Luft rauslassen müssen, sonst bleibt sie hängen. Die Kleider sind - gewaltig. Riesige, um die Hüfte herum auskragende Mäntel und Kostüme, Daunenjacken, in denen man zur Not auch zelten könnte, dazu Handtaschen in Koffergröße. Zum Schluss - maximales Zugeständnis an das Feminine - kommen noch ein paar Geblümt-von-Kopf-bis-Fuß-Outfits. Schön ist das nicht, neu und aufregend auf jeden Fall. Womit die Mission erst mal erfüllt wäre.

Starke Kollektionen sieht man bei Nina Ricci und Haider Ackermann

Unterm Strich sind es seltsame Tage diesmal in Paris. All die Vakanzen und von Spekulationen umwitterten Personalien, noch dazu steht das Schauensystem selbst auf der Kippe, da in Zukunft immer mehr Häuser ihre Kollektionen vorproduzieren und nach der Show direkt in den Laden bringen werden. Wer zieht mit rüber in die neue Welt? Wer bleibt in der alten? Es sind Gewissensfragen wie diese, die bei manchen Labels eine regelrechte Schockstarre ausgelöst haben, die man auch auf dem Laufsteg sieht.

Die wirklich starken Kollektionen wirken dazwischen wie Leuchtfeuer. Nina Ricci etwa, mit einer ganz erstaunlichen Farbpalette an Zwischentönen, Flieder, Aubergine, Karamell, Anthrazit, mittendrin ein fantastisches Kleid in Blutrot, mit Silber durchwirkt, von dem Trench aus moosgrünem Ponyfell ganz zu schweigen. Oder Haider Ackermann, der das Trendmaterial Samt verarbeitet wie kein Zweiter: schimmernd leichte Longblazer, die er mit den knackengsten Bikerhosen der ganzen Woche kombiniert. Oder Loewe, wo Jonathan Anderson zeigt, dass er auch elegant kann, ohne an Modernität einzubüßen.

Bei Céline wiederum ist Phoebe Philo auf den Oversize-Zug aufgesprungen und hat am Sonntag eine seltsam kraftlose Kollektion gezeigt: immer und immer wieder die gleiche weite Flatterhose unter einem langen, geräumigen Oberteil. Hartnäckigen Gerüchten zufolge war es ihre letzte Show für dieses Haus.

Die Minimalistin Philo war einmal das, was Demna Gvasalia in Kürze sein wird: das hottest ticket in town. Die Leute gingen nicht zu Céline, sie rutschten auf Knien hin. Philos Vision blieb über die Jahre stark, aber der Hype tanzte irgendwann woanders. Da sind wir wieder bei Christian Dior, der nach dem Triumph seines New Looks folgenden Ratschlag von einem alten Freund erhielt: "Genieße diesen Augenblick des Glücks, er ist einzigartig in deiner Karriere. Morgen schon beginnt die Pein, dass du an deinem Erfolg gemessen werden wirst."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2894501
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.03.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.