Süddeutsche Zeitung

Muslime in Frankreich:"Das ist nicht der Islam"

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Muslime in Frankreich verurteilen die Anschläge ebenso scharf wie alle anderen Franzosen. Doch sie fürchten, dass sich das gesellschaftliche Klima verschärft. Es gibt Anzeichen dafür.

Von Oliver Klasen, Paris

Es sind acht Orte, an denen sich der Hass gezeigt hat. Unter anderem in der Bretagne, in der Normandie, in Reims in Nordostfrankreich und im Südwesten an der Atlantikküste - acht Orte innerhalb eines einzigen Wochenendes und man weiß nicht, ob die Liste vollständig ist. Die französische Zeitung Libération hat die Zusammenstellung veröffentlicht. Es geht um Übergriffe gegen Muslime oder muslimische Einrichtungen nach den Anschlägen vom Freitag.

Mal wurde Schweineschinken vor eine Moschee gelegt, mal eine Fassade mit roten Kreuzen oder Hetzparolen beschmiert, mal wurden Steine in einen Kebab-Laden geworfen, mal zogen rechtsextreme Demonstranten vor das Rathaus und skandierten "Frankreich den Franzosen". Es gab auch körperliche Übergriffe: Ein Mann nordafrikanischer Abstammung wurde niedergeschlagen, eine Person sogar angeschossen.

Politiker fordert, in Moscheen auf Französisch zu predigen

Gemessen an dieser Bedrohungslage und daran, dass es erst vier Tage her ist, seit in der Stadt 129 Menschen brutal ermordet wurden, sind die Sicherheitsvorkehrungen vor der Großen Moschee von Paris im 5. Arrondissement moderat. Am Dienstagnachmittag sind zwei Polizisten vor dem Gebäude postiert, einer von ihnen mit Maschinenpistole. Und dann noch ein paar Sicherheitsleute, die zu den beiden Politikern gehören, die gerade in der Moschee zu Gast sind. Dalil Boubakeur, Rektor der Moschee, hat die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo und den früheren gaullistischen Premierminister Alain Juppé zu Gesprächen empfangen.

Am Morgen hatte Juppé, der im Mitte-rechts-Lager als möglicher Herausforderer von Nicolas Sarkozy im Präsidentschaftswahlkampf gilt, in einem Interview mit dem TV-Sender BFM-TV und via Twitter gefordert, dass in allen Moscheen des Landes auf Französisch gepredigt werden soll und die französischen Muslime klar zum Ausdruck bringen müssten, dass sie nichts mit "den Barbaren des Islamischen Staates zu tun haben".

"Abscheuliche Barbarei"

Nichts anderes tun Muslime in Frankreich bereits seit Tagen. Am Samstag wurde eine Erklärung veröffentlicht, in der sämtliche muslimischen Verbände des Landes die "abscheuliche Barbarei" anprangern und "zur nationalen Einheit" aufrufen. Am Sonntag besuchte eine Delegation von zwölf Imamen aus der Region Île-de-France einen der Orte des Terrors. Vor dem Bataclan, wo 89 Menschen starben, legten die islamischen Geistlichen Blumen ab und stimmten die Marseillaise an. Die Vereinigung der muslimischen Studenten in Frankreich hat ein Video ins Netz gestellt, in dem unter dem Motto #noussommesunis (Wir sind vereint) Mitgefühl ausgedrückt wird und die Attentäter verurteilt werden. "Sie wollten, dass Frankreich schwach wird. Aber sie haben unsere französischen Herzen nur stärker gemacht", heißt es in dem Film.

Die meisten Muslime, die man vor der Großen Moschee trifft, wollen nicht so gerne reden, vielleicht, weil sie in diesen Tagen ständig von den Medien belagert werden, vielleicht auch, weil sie es bevorzugen, still zu trauern. Viele von ihnen haben an den Orten der Attentate Blumen abgelegt und Zettel befestigt, auf denen "Das ist nicht der Islam" steht. Bei denjenigen, die doch etwas sagen, fällt immer wieder eine Formulierung: "Man darf uns nicht alle in einen Sack stecken."

Die Angst, dass eine Die-gegen-uns-Situation entsteht, ist groß unter Frankreichs Muslimen. Zwar ist bekannt, dass einige der bei den Attentaten getöteten Opfer ebenfalls Muslime waren, zum Beispiel die beiden Schwestern Houda und Halime Saadi oder der 28-jährige Architekt Amine Ibholmobarak. Doch viele fragen sich, wann das in Vergessenheit gerät und es den rechten Scharfmachern vom Front National gelingt, die öffentliche Debatte zu dominieren und Flüchtlingspolitik, Integrationsdebatte und die Bekämpfung des Terrorismus miteinander zu vermischen.

Auch der Pariser Mufti Dalil Boubakeur will der seiner Meinung nach gefährlichen "Vermengung von Terrorismus und Islam" entgegenwirken. Weil er die muslimische Gemeinde als genauso betroffen von den Anschlägen sieht wie alle anderen Bürger in Frankreich, will er ein Zeichen setzen. Das Freitagsgebet in dieser Woche soll im Zeichen des Gedenkens an die Opfer stehen. In der Großen Moschee von Paris soll es eine Trauerzeremonie geben, zu der auch Bürgermeisterin Hidalgo erwartet wird. "Alle Bürger muslimischer Konfession und ihre Freunde" sind aufgerufen, "am Freitag um 14 Uhr ihre tiefe Verbundenheit mit Paris auszudrücken und sich zu ihrer Vielfältigkeit und zu den Werten der Republik zu bekennen", sagte Boubakeur auf einer Pressekonferenz am Montag.

Nach dem Gespräch mit Hidalgo und Juppé am Dienstag bekräftigt er seine Haltung noch einmal. "Wir müssen klarmachen, dass wir alle Franzosen sind und uns angesichts dieser menschenfeindlichen Attentate nicht auseinanderdividieren lassen." Was Juppé vor der Großen Moschee in die Kameras sagt, klingt sehr ähnlich. Er spricht von "Zusammenhalt, von Respekt für die Gemeinschaft und vom Eintreten für die französischen Werte".

Es sind Selbstverständlichkeiten, die hier ausgesprochen werden. Aber offenbar sind sie nötig in diesen Tagen.

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