Süddeutsche Zeitung

Ex-Anwalt von Stormy Daniels:Das Kartenhaus des Michael Avenatti

Lesezeit: 4 min

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Sollte es irgendwann einen Film über Michael Avenatti geben, könnte man ihn sich darin vorstellen als Bösewicht einer Disney-Geschichte. Wie Scar aus "König der Löwen" zum Beispiel, Jafar aus "Aladdin" oder Captain Hook aus "Peter Pan": eine comichafte, völlig überzeichnete Figur, irgendwie charmant und doch so verdorben, dass sie an ihrer Böswilligkeit zu Grunde gehen muss. Avenatti wurde in den vergangenen Monaten als schlagfertiger und wortgewaltiger Anwalt der Porno-Schauspielerin Stormy Daniels und damit scheinbar ebenbürtiger Gegenspieler von US-Präsident Donald Trump weltweit bekannt. Doch jetzt steht er selbst als Bösewicht da - und muss vielleicht für sehr lange Zeit ins Gefängnis.

Avenatti werden laut Gerichtsunterlagen, die der SZ vorliegen, zahlreiche Verbrechen zur Last gelegt, unter anderem Bestechung, Betrug und Steuerhinterziehung. In diesen Anklagen, die unabhängig voneinander in verschiedenen US-Bundesstaaten eingereicht worden sind, wird jeweils das Bild eines gierigen, gerissenen und geltungssüchtigen Menschen gezeichnet, der nicht nur gegen die Gegner seiner Mandanten aggressiv und skrupellos vorgeht, sondern - und das ist wohl das Schlimmste, was man über einen Anwalt sagen kann - der sogar seine Mandanten hintergangen haben soll.

"Das ist Jura für Anfänger: Man stiehlt nicht das Geld seiner Klienten", sagt der kalifornische Oberstaatsanwalt Nicola Hanna über die Vorwürfe, die Avenatti in E-Mails an Journalisten und auch auf dem sozialen Netzwerk Twitter abstreitet. "Ich habe in meiner Karriere stets gegen die Mächtigen gekämpft, das werde ich nun fortführen", sagte er kürzlich: "Wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen, werde ich komplett entlastet sein." Er stellt sich nun als Opfer einer politischen Kampagne dar, der New York Times sagte er: "Die Regierung hat mich in ihrem Fadenkreuz, und dafür gibt es Gründe."

Es droht eine Gefängnisstrafe von bis zu 333 Jahren

Es sieht derzeit nicht besonders gut aus für Avenatti: Rechnet man all die bislang bekannten Anklagen zusammen, dann droht ihm bei Verurteilung eine Gefängnisstrafe von bis zu 333 Jahren. Oberstaatsanwalt Hanna sagt dazu: "Es ist ein kriminelles Schneeballsystem: Die Beute aus einem Verbrechen wurde dazu verwendet, ein anderes Verbrechen anzuleiern und das Kartenhaus vor dem Einsturz zu bewahren."

Avenatti soll den Sportartikelhersteller Nike um mehr als 20 Millionen Dollar erpresst, die Make-Up-Künstlerin Michelle Phan um vier Millionen Dollar betrogen und noch einmal vier Millionen Dollar eines Mandanten im Rollstuhl veruntreut haben - und dann beim Verwischen der Spuren auch noch dafür gesorgt haben, dass dieser Klient keine Behindertenrente mehr bekommen habe. Er soll seine Geschäftspartner hintergangen, Banken beschummelt und Kredite nicht zurückgezahlt haben, der eine Betrogene soll dabei stets mit dem Geld eines anderen Betrogenen ruhiggestellt worden sein.

Das Finanzamt ermittelt seit Jahren gegen die Vorgänge seiner diversen Unternehmen, er ist unter anderem an einer mittlerweile geschlossenen Kaffeehauskette, einem Motorsport-Rennstall und einem Flugzeughandel beteiligt. Wer all die Anklagen studiert, blickt auf ein verworrenes System. Aber man kann pars pro toto einen Fall aus der jüngeren Vergangenheit detailliert betrachten, um einen klareren Eindruck zu bekommen.

Stormy Daniels

Christina Aguilera

Michelle Phan

Hassan Whiteside (hinten)

Der Basketballprofi Hassan Whiteside hat im Jahr 2016 bei Miami Heat einen Vierjahresvertrag mit einem Gesamtgehalt von 98,4 Millionen Dollar unterschrieben. Seine Ex-Freundin Alexis Gardner, vertreten durch Avenatti, hat ihm kurz darauf ein paar Dinge vorgeworfen, von denen Whiteside offensichtlich nicht wollte, dass sie publik werden. Er einigte sich auf Zahlung von drei Millionen Dollar, im Januar 2017 überwies er zunächst wie vereinbart 2,75 Millionen, von denen Avenatti mehr als eine Million als Honorar behalten und den Rest an Gardner weiterleiten sollte.

Avenatti allerdings soll bereits einen Tag später 2,5 Millionen Dollar an die Kanzlei seines Geschäftspartners Filippo Marchino weitergeleitet haben, von dort aus soll das Geld an Honda Aircraft gegangen sein, weil sich Avenatti am Kauf eines Privatflugzeuges habe beteiligen wollen. Damit habe er den Tech-Millionär Bill Parish, ebenfalls am Flugzeug beteiligt, beruhigen wollen. Der war einst Mandant von Avenatti und dann Geschäftspartner, der auf Rückzahlung eines Millionenkredits gepocht hat - Geld übrigens, das Avenatti zum Abzahlen anderer Schulden verwendet haben soll. Einem Gerichtsurteil zufolge muss er 2,1 Millionen Dollar an Parish bezahlen, hat das Urteil aber angefochten. Gardner erzählte der Anwalt, dass sie 96 monatliche Raten erhalten würde - nach elf Zahlungen (insgesamt 194 000 Dollar) behauptete er, dass Whiteside im Verzug sei.

Prominente Klienten und Luxusartikel

Avenattis Taktik ist wohl also: einen gegen den anderen auszuspielen und bei Verurteilungen einfach noch ein weiteres Stockwerk auf das Kartenhaus draufzulegen. Es geht meist um prominente Klienten (schon zu Beginn seiner Karriere arbeitete er etwa für die Sängerin Christina Aguilera und die Band The Eagles) und um Luxusartikel (bei der Scheidung von seiner zweiten Ehefrau Lisa überließ er ihr einen Sportwagen, Uhren im Wert von 250 000 Dollar - und die Beteiligung an diesem Privatflugzeug, die er mit dem Geld von Alexis Gardner bezahlt haben soll).

Avenatti gibt sich derart selbstbewusst und furchtlos, dass er lange Zeit glaubte, selbst für das Amt des US-Präsidenten kandidieren zu können. Unter seine Twitter-Einträge über Donald Trump schreibt er gewöhnlich: "Basta!" Es ist genug! Lange Zeit hatte es so ausgesehen, dass gerade die Stormy-Daniels-Affäre dem Präsidenten tatsächlich würde schaden können. Daniels hat sich vor ein paar Wochen allerdings von Avenatti getrennt und sagt nun über all die juristischen Probleme ihres ehemaligen Anwalts: "Nach allem, was ich über ihn weiß, tut es mir zwar leid - es überrascht mich aber nicht."

Die Vorwürfe sind verworren, und es ist nun Aufgabe der Ermittler in verschiedenen US-Bundesstaaten, nicht nur jeweils einen Fall zu untersuchen, sondern das Wirrwarr zu entflechten. Die Anklagen zeichnen das Bild eines Mannes, der unbedingt größer sein will, als er es in Wirklichkeit ist - wie die Bösewichter in Disney-Filmen, die auch stets noch mächtiger und reicher sein wollen und deshalb zu Schurken werden. Die Staatsanwaltschaft sagt nun: Basta! Es ist genug.

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