Süddeutsche Zeitung

Masern auf den Philippinen:Warum viele Eltern ihre Kinder nicht impfen lassen

Lesezeit: 3 Min.

Von Arne Perras, Singapur

Mariella Castillo teilt die Skepsis der Impfgegner nicht: "Wir wissen aus den Erfahrungen der vergangenen 40 Jahre, dass der Impfstoff gegen Masern sicher und effektiv ist," sagt die Kinderärztin auf den Philippinen. Gleichzeitig beunruhigt die Spezialistin, wie sich die gefährliche Krankheit nun Tag für Tag weiter über den Inselstaat in Südostasien verbreitet. Mehr als 4000 Menschen sind dort bereits an Masern erkrankt, 70 Todesfälle hat es seit Beginn des neuen Jahres gegeben.

"Deshalb brauchen wir jetzt einen großen Schub auf nationaler Ebene, um das zu kontrollieren", sagt Castillo am Telefon. Die Ärztin spricht von breit angelegten raschen Impfkampagnen, die alle Gebiete des Inselstaates erreichen sollten. "Die Ausbreitung der Masern lässt sich noch eindämmen", sagt die Medizinerin. Sie arbeitet für das Kinderhilfswerk Unicef, das den philippinischen Staat nun beim Kampf gegen die Masern unterstützt. Gelingen kann das alles nur, wenn die Eltern der Kinder mitziehen.

Aber wollen sie das? Castillo und ihre Kollegen beobachten schon seit einiger Zeit, dass viele Eltern zögern, ihr Kinder impfen zu lassen. Diese Skepsis gebe es auch in anderen Ländern, doch auf den Philippinen wirkt sie sich nun gerade sehr drastisch aus, selbst in der Megametropole Manila gibt es nun bereits einen Ausbruch von Masern. "Wir müssen die Botschaft unter die Leute bringen, dass das Impfen sehr wichtig ist, und das auf allen Kanälen", sagt die Ärztin. Sie erklärt, dass es einen guten Schutz gegen Masern nur dann geben könne, wenn es gelingt, 95 Prozent aller Kinder zu impfen. Auf den Philippinen sind die Teams aber noch weit von diesem Ziel entfernt.

Dengue-Impfstoff erhöhte die Erkrankungsgefahr bei vielen Kindern

"Die jüngsten Ausbrüche kommen für mich nicht überraschend", sagt Castillo, schon seit Jahren gehe der Anteil der geimpften Kinder im Inselstaat deutlich zurück. 2014 waren es 88 Prozent, 2017 nur noch 73 Prozent. Der Trend dürfte danach weiter angehalten haben, zumal es vor zwei Jahren einen großen Streit um einen anderen Impfstoff gab, der Eltern stark verunsichert hat. Damals ging es um das gefährliche Dengue-Fieber und den Stoff "Dengvaxia", produziert vom französischen Pharmakonzern Sanofi Pasteur.

Gerade auf den Philippinen, wo Dengue sehr verbreitet ist, hatten die Menschen einen Schutz vor dem Fieber lange ersehnt. Manila ließ rasch nahezu eine Million Schulkinder impfen, doch dann veröffentlichte Sanofi einen Hinweis, der für große Unruhe und Wut sorgte. Studien hatten zwar gezeigt, dass der Impfschutz für jene, die schon einmal mit Dengue infiziert waren, sehr effektiv war. Doch für jene Kinder, die noch nie zuvor Dengue hatten, erhöhte der Impfstoff das Risiko, später schwer am Fieber zu erkranken. Sanofi befand damals, dass diese Ergebnisse "das komplexe Wesen der Dengue-Infektion zeigen", doch in Manila lösten sie Wut und politische Kontroversen aus, manche Eltern waren später überzeugt, dass ihre Kinder an den Folgen der Impfung gestorben seien, was jedoch nicht nachzuweisen war.

"Eltern tun sich sehr schwer, an vertrauenswürdige Informationen zu gelangen"

Geblieben ist aus dieser Zeit eine starke Verunsicherung, die nun auch weiter auszustrahlen scheint und die Skepsis gegenüber der Masernimpfung erhöhen dürfte. Ärztin Castillo hält dies nicht für gerechtfertigt, sie beobachtet jedoch, dass gerade in den sozialen Medien viele Aufrufe kursieren, sich von Impfungen generell fernzuhalten. Familien wissen nicht mehr, was sie glauben sollen. Eine Studie in armen Bezirken von Quezon City kam nach dem Streit um den Dengue-Impfstoff zu dem Schluss: "Eltern tun sich sehr schwer, an vertrauenswürdige Informationen zu gelangen." Und ein Forscherteam um die Anthropologin Heidi Larson fand heraus, dass das Vertrauen in Impfungen auf den Philippinen seither drastisch eingebrochen ist. Während 2015 noch neun von zehn Befragten bestätigten, dass sie Impfungen für wichtig hielten, taten dies 2018 nur noch 32 Prozent.

Die Weigerung von Eltern, Kinder gegen Masern zu impfen, hat jedoch nicht alleine zu der jüngsten Krise geführt. Hinzu kommen auch Schwächen eines Gesundheitsystems, in dem es immer wieder viele Pannen gibt. Mal versagte die Kühlkette beim Transport der Impfstoffe, mal waren Lager leer und die Impfteams in den Dörfern hatten nichts, was sie den Kindern hätten spritzen können. Castillo berichtet, dass manche Kommunen gar nicht genügend geschultes Personal hätten, um alle Kinder zu impfen. Das alles rächt sich nun und fordert den Staat heraus, der sehr schnell viele Kräfte mobilisieren muss, um die wachsende Gefahr zu beherrschen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4329199
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.