Süddeutsche Zeitung

Australien:Verrückt nach Mary

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Von Martin Zips

Mary Poppins hätte jetzt sehr streng geschaut und alle Beteiligten ermahnt, sich doch bitte ein bisschen zusammenzureißen. Denn was einige Bewohner zweier australischer Gemeinden da gerade veranstalten, das wirkt doch recht kindisch. Und das Kindische war dem zauberhaft-strengen Kindermädchen Mary Poppins, im Gegensatz zum Kindlichen, immer ein Dorn im Auge.

Da ist auf der einen Seite also Paul McShane, Kulturmanager aus Bowral. McShane, einer der Väter der dort im Jahr 2013 errichteten Mary-Poppins-Statue im städtischen Park, wird seit Jahren nicht müde, darauf hinzuweisen, dass allein seinem Städtchen der Titel "Geburtsort von Mary Poppins" gebührt.

Bei Bowral handelt es sich mit gut 13 000 Einwohnern um die größte Stadt in den südlichen Highlands von New South Wales, Australien. Hierhin war die Mutter der späteren Kinderbuchautorin P. L. Travers (1899 - 1996) mit ihren drei Töchtern gezogen. Und hier soll Travers als Kind ihre jüngeren Schwestern mit selbst ausgedachten Geschichten einst unterhalten haben. Der Vater, ein Bankmanager aus England, war an den Folgen seiner Alkoholsucht mit nur 43 Jahren gestorben, die Mutter wurde immer verzweifelter. Das spürten die drei Mädchen, weshalb sich Travers für ihre Schwestern Gute-Nacht-Geschichten ersann.

"Ein Löffelchen Realität"

In Maryborough, Queensland, aber - gut 1300 Kilometer von Bowral entfernt - sieht man die Sache völlig anders. Dort hat die Regionalzeitung gerade eine Art Kriegserklärung veröffentlicht. Ein zweiseitiges Pamphlet der Schirmherrin des örtlichen Mary-Poppins-Festivals, die auch eine der treibenden Kräfte für die bereits im Jahr 2004 dort ebenfalls errichtete Mary-Poppins-Statue war: Nancy Bates, eine ehemalige Chefredakteurin. Sie legte jetzt in harschen Worten dar, dass die in Maryborough (MARYborough) geborene P. L. Travers zeitlebens nichts anderes mit Bowral verbunden habe als: "ziemlich düstere Erinnerungen".

Behauptungen, ausgerechnet dieser Ort habe die Autorin zu der Figur inspiriert, seien einfach nur "lächerlich". Daher erwarte man in der Angelegenheit von Bowral endlich mal "ein Löffelchen Realität", so Frau Bates in Anspielung auf den Song aus der unübertroffenen Walt-Disney-Verfilmung von 1964 ("A Spoonful of Sugar", singt Mary Poppins dort).

Unsinn, so schallt es jetzt aus Bowral zurück. Zwar könne Maryborough für sich in Anspruch nehmen, Geburtsort der Mary-Poppins-Erfinderin zu sein. Mary Poppins hingegen sei eindeutig in Bowral auf die Welt gekommen. Denn hier habe P. L. Travers von 1907 bis 1917 gelebt.

"Vergiss es einfach, Bowral!"

Später zog sie nach Sydney, dann nach England. Aber nur in Bowral habe die Schriftstellerin, so Paul McShane, "die Trauer einer zerbrochenen Familie in einer Notlage" erlebt. Diese sei wegweisend gewesen für die Entwicklung ihrer Figur. McShane: "Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich." Dieser Satz stamme von Leo Tolstoi. Und exakt diese Erfahrung habe sie angetrieben.

Ach, die in Bowral sollten doch endlich mal damit aufhören, weiter ihren Drachen im Ostwind steigen zu lassen, ätzt hingegen Nancy Bates (wieder so eine Anspielung auf Poppins) in ihrem Artikel. Bates: "Vergiss es einfach, Bowral!" Denn in Wahrheit habe die Autorin ihren Schwestern damals nur Geschichten von einem Einhorn erzählt. "Und jetzt behaupten die einfach, das Einhorn sei Mary Poppins."

Man darf gespannt sein, wann sich in der Angelegenheit die Gemeinde Mayfield, Sussex, England, einschaltet. Denn dort ganz in der Nähe schrieb Travers die Poppins-Geschichten Anfang der 30er- Jahre erstmals auf. Eine Statue haben sie dort immer noch nicht.

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SZ vom 19.01.2019
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