Süddeutsche Zeitung

Los Angeles:Sein Freund Harvey

Lesezeit: 2 min

Rechtzeitig zur Oscar-Verleihung provoziert der Künstler "Plastic Jesus" Hollywood mit einer goldenen Statue des Skandal-Produzenten Harvey Weinstein.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die wichtigste Botschaft von "Plastic Jesus" steht in weißen Buchstaben auf seinem schwarzen T-Shirt: "Stop Making Stupid People Famous". Hört auf damit, dumme Leute berühmt zu machen. "Es gab eine Zeit, da haben wir Menschen aufgrund ihres Könnens, ihrer Intelligenz oder ihres Talents bewundert", sagt der britische Guerilla-Künstler, der anonym bleiben möchte und sein Gesicht mit einem Tuch oder einer Atemschutzmaske verbirgt: "Jetzt lassen wir Typen berühmt werden, von denen wir nicht einmal wissen, was sie überhaupt machen."

Der einstige Fotojournalist ist das schlechte Gewissen von Hollywood, mit seinen meist sarkastischen Installationen kritisiert er seit Jahren den Personenkult in der Unterhaltungsindustrie: Er hat auf dem "Walk of Fame" den Stern von Donald Trump eingemauert oder im legendären Tower-Records-Laden auf dem Sunset Strip eine Attentat-Barbie und eine in Dollarscheine eingewickelte Fußball-WM-Trophäe ausgestellt. Berühmt geworden ist er mit seinen Aktionen in der Woche vor der Oscar-Verleihung, im vergangenen Jahr etwa hat er auf dem Hollywood Boulevard eine goldene Statue des Rappers Kanye West in Kreuzigungspose errichtet und davor eine koksende Oscar-Statuette. Diesmal: der Filmproduzent Harvey Weinstein im Bademantel auf der Besetzungscouch.

"Der Tausch von Filmrollen gegen sexuelle Gefälligkeiten gehört noch immer zur Kultur von Hollywood", sagt Plastic Jesus kurz nach der Enthüllung der Statue unweit des roten Teppichs. Er hat sie gemeinsam mit seinem Kollegen Joshua "Ginger" Monroe erstellt und absichtlich so gestaltet, dass sich Leute für Selbstporträts auf die Couch zu Weinstein setzen und diese interaktive Installation dann über soziale Netzwerke verbreiten: "Es ist verlockend, nicht wahr? Es war der Traum vieler junger Künstler, Harvey möglichst nahe zu kommen. Hoffentlich findet nun, angesichts der schweren Vorwürfe gegen einige der mächtigsten und prominentesten Akteure, ein Reinigungsprozess in Hollywood statt."

Plastic Jesus liefert sich seit Jahren ein kreatives Duell mit dem rechtsgerichteten Straßenkünstler Sabo, so auch in diesem Jahr. Sabo fragte auf drei überdimensionalen Reklametafeln, in Anspielung auf den Oscar-Favoriten "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri", warum im Zuge all der Enthüllungen um sexuelle Nötigung eigentlich noch niemand verhaftet worden ist - verbunden mit der Aufforderung, während der Verleihung der Academy Awards weitere Namen zu nennen.

"Bei der Oscarverleihung werden Künstler für ihre erstaunlichen Leistungen geehrt, das ist grundsätzlich völlig in Ordnung", sagt Plastic Jesus: "Gleichzeitig werden aber zahlreiche dunkle Aspekte der Filmindustrie unter den Teppich gekehrt: Drogenmissbrauch, Rassismus, Ausbeutung." Es ist tatsächlich auffällig, wie heuchlerisch die Unterhaltungsbranche mit Skandalen umgeht. Natürlich beschweren sich alle über die systematische Benachteiligung schwarzer Künstler und die schlechtere Bezahlung von Frauen, die bedeutsamsten Rollen und wichtigsten Preise werden dann aber doch immer wieder bevorzugt an weiße Männer vergeben - ob Filme wie "Get Out" und "Black Panther" tatsächlich für den dringend notwendigen Wandel stehen oder doch nur als schöner Teppich zum Drunterkehren dienen, ob die MeToo-Debatte wirklich etwas verändert oder von der Skandal- und Empörungsmaschinerie durchgekaut und ausgespuckt wird, das ist derzeit noch nicht abzusehen. "Ich glaube, dass die Woche vor den Oscars ein guter Zeitpunkt war, um eine Botschaft zu vermitteln", sagt Plastic Jesus. Es hängen symbolische Wolken über der sonst so sonnigen und schillernden Branche, in der vergangenen Woche sorgten wirkliche Wolken dafür, dass die Botschaft des Straßenkünstlers nicht lange zu sehen war. Er musste die Besetzungscouch wegen Regens bald wieder abbauen, sie soll aber bald wieder in Los Angeles zu sehen sein.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3891767
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.03.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.