Süddeutsche Zeitung

London:Pfui

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Ein gewaltiger, 130 Tonnen schwerer Fettwulst in der Kanalisation belustigt und ekelt London. Er muss mit Schaufeln und Presslufthämmern abgetragen werden - und das könnte bis zu drei Wochen dauern.

Von Cathrin Kahlweit

In Großbritannien ist das Schicksal der "Fettecke" von Joseph Beuys, die ein Düsseldorfer Hausmeister nicht als Kunstwerk erkannte, folgerichtig abtrug und wegräumte, eher unbekannt. Dabei gibt es aus dieser kunsthistorischen Anekdote, die einst zu einem langwierigen Rechtsstreit führte, einiges zu lernen für das enorme Problem, dem britische Arbeiter im Londoner Untergrund derzeit gegenüberstehen. Im historischen Abwassersystem der Hauptstadt, dessen Errichtung in viktorianischen Zeiten als Meisterwerk der britischer Ingenieurskunst galt, hat sich nämlich ein 250 Meter langer, 130 Tonnen schwerer, schier undurchdringlicher Wulst aus Fett, Windeln, Feuchttüchern, Zellstoff und zermalmtem Müll aufgetürmt, ein "betonartiges Monstrum", wie es heißt. Es verstopft einen Abwasserkanal und muss nun von Hand, mit Schaufeln und Presslufthämmern abgetragen werden. Das könne bis zu drei Wochen dauern, teilte der Chef von "Thames Water", dem zuständigen Versorgungsunternehmen, in London mit.

"Fett", hat Beuys einst geschrieben, nehme "den Weg von einer chaotisch zerstreuten, energieungerichteten Form zu einer Form. Dann tritt es auf in der berühmten Fettecke." Das trifft im Prinzip auch auf die Vorkommnisse in London zu, wobei es sich hier nicht um einen einmaligen Vorgang handelt, sondern um eine tägliche Herausforderung. Denn die Mannschaften, die in London unter Tage arbeiten, müssen stündlich drei fettbasierte Blockaden und fünf Verstopfungen, die durch Binden, Windeln und andere Hygieneartikel verursacht werden, beseitigen. Der aktuelle Fettwulst ist nur besonders groß, besonders hart und besonders ekelhaft. Die Wasserversorgungsgesellschaft sucht derzeit im Internet einen Namen dafür, vorgeschlagen wurden unter anderem: Fat the Ripper, Adipose und diverse Wortspiele mit Donald Trump und Theresa May.

Das Londoner Abwassersystem ist, wie die meisten auf der Welt, schlicht nicht gemacht für die Mengen an Müll und Dreck, die Menschen nicht ordnungsgemäß entsorgen, sondern aus Bequemlichkeit das Klo hinunterspülen; die lästige Popularität von Feuchttüchern verschärft die Lage. Der Bauherr des Entsorgungssystems im 19. Jahrhundert hatte das System aus Kanälen und Leitungen für etwa vier Millionen Einwohner entworfen, doch in London leben heute bereits mehr als doppelt so viele Menschen.

Immerhin: Mittlerweile wird an einem neuen "Super Sewer", einem Superkanal, gebaut. Mehr als vier Milliarden Pfund soll die Sache kosten und dafür sorgen, dass nicht mehr so viel verseuchtes Abwasser in die Themse fließt. Sieben Jahre lang wurde geplant, seit Monaten wird gegraben. Aber wie bei Beuys und seiner Fettecke drohen auch hier Rechtsstreitigkeiten und Probleme. Denn einer der Chefberater für das Mega-Projekt, das halb so viel kosten dürfte wie die Olympischen Spiele, sagt, seine Planungen basierten auf falschen Informationen.

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SZ vom 15.09.2017
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