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Kriminalität:Posträuber Ronnie Biggs gestorben

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London (dpa) - Es galt lange Zeit als das "Verbrechen des Jahrhunderts": Eine Gruppe von 15 Gangstern stoppte am 8. August 1963 den mit Säcken voller Geld beladenen Postzug zwischen Glasgow und London - und entkam mit einer Beute von 2,6 Millionen Pfund.

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London (dpa) - Es galt lange Zeit als das „Verbrechen des Jahrhunderts“: Eine Gruppe von 15 Gangstern stoppte am 8. August 1963 den mit Säcken voller Geld beladenen Postzug zwischen Glasgow und London - und entkam mit einer Beute von 2,6 Millionen Pfund.

Das waren damals etwa 28 Millionen Mark (etwa 14 Millionen Euro), eine stolze Summe. Der heutige Gegenwert entspricht etwa 40 Millionen Pfund. Zu der Räuber-Gang vom Großen Postzugraub zählte auch Ronnie Biggs, ein gelernter Zimmermann und Kleinkrimineller aus dem Londoner Arbeiter-Stadtteil Lambeth. Obwohl beim Überfall selbst nur Mitläufer, war Biggs einer der wenigen, die mit dem Coup berühmt wurden. Am Mittwoch starb er im Alter von 84 Jahren in London.

Das lag vor allem an seinem Verhalten nach der Tat. Er wurde schnell gefasst und ins Gefängnis gesteckt. Doch nach nur 15 Monaten hinter Gittern seilte sich Biggs mit einer Strickleiter an einer Mauer des Londoner Wandsworth-Gefängnisses ab. In Paris ließ er sich das Gesicht umoperieren und floh über Australien nach Rio de Janeiro. 147 000 Pfund sollen damals sein Anteil an der Beute gewesen sein - heute ein Vermögen von rund 2,4 Millionen Euro. „Ich habe es in drei Jahren völlig verprasst - seitdem lebe ich von meinem Namen“, sagt er einmal.

An der Copacabana genoss Biggs mehr als 35 Jahre lang das süße Leben Südamerikas, obwohl ihm die britische Polizei und auch die Journaille stets auf den Fersen waren. Da Großbritannien bei seiner Ankunft in Rio Anfang der 1970er Jahre kein Auslieferungsabkommen mit Brasilien hatte, konnte sich Biggs relativ frei bewegen. Er spielte sogar mit seinen Verfolgern, ließ sich immer wieder bei rauschenden Partys fotografieren, gab Interviews, ein Foto zeigt ihn mit einem Helm auf dem Kopf, wie ihn die Londoner Bobbys tragen.

Die brasilianischen Gesetze nutzte der Lebemann Biggs geschickt aus. Eine Zeit lang blieb er nur deswegen unbehelligt, weil seine damalige Freundin, eine Stripperin aus Rio, schwanger war. Die Auslieferung der Eltern eines brasilianischen Staatsbürgers war zur damaligen Zeit nicht möglich. Chefermittler Jack Slipper von Scotland Yard, der eigens nach Rio gereist war, um Biggs festzunehmen, musste alleine wieder zurückfliegen. „In einem Bericht wurde geschrieben, ich hätte mehr als 2500 Freundinnen gehabt, seit ich auf der Flucht bin. Ihr müsst Euch vorstellen, ich bin 30 Jahre auf der Flucht. Es müssen mehr gewesen sein“, sagte Biggs einmal.

Als bekannter Gauner bekam er keine Anstellung, also lud er gegen Bezahlung Touristen zu Grillfesten in seinen Garten ein - und prahlte dann von dem berühmten Raubüberfall. Zeitweise machten Biggs-T-Shirts und -Kaffeebecher in der brasilianischen Metropole die Runde. Er entdeckte auch eine musikalische Ader und nahm unter anderem mit den Sex Pistols und den Toten Hosen Lieder auf. Für eine Verfilmung des Postzugraubes wirkte er am Drehbuch mit. Seinen 70. Geburtstag feierte er in Rio gemeinsam mit dem Kopf der Posträuber-Truppe, Bruce Reynolds.

Nach einem jahrzehntelangen Exil zog es Biggs zurück in die Heimat - wo er teils als Schlitzohr verehrt, teils als Schwerverbrecher gehasst wurde. „Ein Pint Bitter im Pub“ soll sein größter Wunsch gewesen sein. Er kam 2001 gesundheitlich stark angeschlagen - an Bord eines von der Zeitung „The Sun“ gecharterten Privatjets - nach Großbritannien zurück, wurde sofort verhaftet und kam wieder ins Gefängnis. 2009 wurde er nach mehreren Schlaganfällen wegen seiner gesundheitlichen Probleme aus der Haft entlassen. Zuletzt konnte er kaum noch sprechen und nicht mehr gehen. Sein letzter öffentlicher Auftritt wurde im März bekannt, als er der Trauerfeier für seinen Komplizen Bruce Reynolds beiwohnte.

50 Jahre nach dem Postzugraub verspürte Biggs noch immer so etwas wie Stolz. „Wenn Ihr mich fragen wollt, ob ich es bereue, einer der Postzugräuber gewesen zu sein, würde ich Nein sagen“, sagte er der Zeitung „Daily Mirror“ im August. „Ich würde sogar weitergehen: Ich bin stolz, eine Rolle gespielt zu haben. Ich habe ein kleines Plätzchen in der Geschichte“. Biggs starb am Morgen des Tages, an dem die BBC eine Fernsehdokumentation über sein Leben ausstrahlen wollte. Im Kurznachrichtendienst Twitter drückten viele ihre Trauer aus. Auf dem Twitter-Account @RonnieBiggsNews etwa war zu lesen: „Leider haben wir Ronnie in der Nacht verloren. Wie immer war sein Timing bis zum Schluss perfekt.“

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