Süddeutsche Zeitung

Großfahndung in Kanada:Wo sind Schmegelsky und McLeod?

Lesezeit: 3 min

Von Moritz Geier

Nun also York Landing, Provinz Manitoba, mitten im Nirgendwo, ein abgelegenes Kaff in der kanadischen Wildnis. Am Sonntag verlagert die kanadische Polizei schwer bewaffnete Einsatzkräfte, Helikopter, Drohnen, Spürhund-Einheiten und ein Militärflugzeug in die Region und ermahnt die Einwohner, in ihren Häusern zu bleiben und die Türen abzuschließen. Sicher ist sicher. Hier sollen sie also gesehen worden sein: Bryer Schmegelsky, 18, und Kam McLeod, 19, nach Essbarem wühlend auf einer Mülldeponie, bevor sie wieder ins Unterholz flüchteten.

Es ist eine Großfahndung von immensem Ausmaß, die das Land umtreibt. Mit einer Fläche von gut zehn Millionen Quadratkilometern ist Kanada der zweitgrößte Staat der Welt, er spannt sich über sechs Zeitzonen und endloses Terrain unbewohnter Wildnis. Das sind die Koordinaten dieser Verbrecherjagd.

Bryer Schmegelsky und Kam McLeod werden per Haftbefehl gesucht, sie sind wegen eines Mordes angeklagt, in zwei weiteren Mordfällen gelten sie als Hauptverdächtige. Ihr Fall bewegt Kanada seit Wochen, weil die mutmaßlichen Täter so jung sind, weil die Fahndung Menschen in Panik versetzt. Und weil der Fall selbst Kriminologen verblüfft, da sich einfach kein Motiv erkennen lässt.

Der Reihe nach: Am 15. Juli werden am Rande des Alaska Highways südlich des Naturparks Liard Hot Springs im Norden der kanadischen Provinz British Columbia die Leichen zweier Touristen gefunden. Das Pärchen, ein 23-jähriger Australier und eine 24-jährige US-Amerikanerin, war mit dem Auto unterwegs, die Leichen weisen Schusswunden auf. Vier Tage später entdeckt die Polizei nahe Dease Lake, etwa 500 Kilometer entfernt, die verbrannte Leiche eines 64-jährigen Kanadiers. Und noch einen Fund macht die Polizei, zwei Kilometer südlich der Leiche: die Überreste eines ausgebrannten Vans, er gehörte den beiden Teenagern Bryer Schmegelsky und Kam McLeod.

Schmegelsky und McLeod gelten kurz ebenfalls als mögliche Mordopfer

Zuerst gelten beide nun ebenfalls als vermisst, ihre Familien haben seit Tagen nichts von ihnen gehört. Die Polizei schließt nicht aus, dass auch sie einem Serienmörder zum Opfer gefallen sind. Die Teenager stammen aus Port Alberni im Süden von British Columbia. Alan Schmegelsky, Vater des 18-jährigen Bryer Schmegelsky, erzählt der kanadischen Nachrichtenagentur Canadian Press später, dass die beiden Freunde ihre schlecht bezahlten Jobs bei Walmart gekündigt hätten und in die Provinz Alberta wollten, um "richtiges Geld" zu verdienen.

Dann dreht sich die Geschichte. Die kanadischen Ermittler bestätigen, dass die vermissten Teenager im Norden der an Alberta grenzenden Provinz Saskatchewan gesehen wurden, am Steuer eines grauen Toyota. Nun gelten die beiden nicht mehr als mögliche Opfer. Sondern als Mordverdächtige.

Seinen Sohn beschreibt Alan Schmegelsky vor laufender Kamera als introvertiert, Youtube und Videospiele hätten großen Einfluss auf ihn gehabt. Wie verschiedene kanadische Medien berichten, hätten sich er und McLeod auch für Waffen und NS-Devotionalien interessiert. Keiner der beiden sei aber je mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, sagt Alan Schmegelsky. "Sie waren ganz normale, alltägliche Kinder - aber beide müssen wohl viel Schmerz in sich tragen. Ein normales Kind reist nicht quer durchs Land und tötet Menschen. Nur ein Kind, das unter sehr gravierenden Schmerzen leidet, tut so etwas."

Auf dem Video des Interviews kann man sehen, wie den Mann an dieser Stelle die Emotionen überwältigen. "Die Polizisten werden erst schießen und dann Fragen stellen", sagt er. "Heute oder morgen wird er tot sein." Er weint, die Stimme bricht. "Ruhe in Frieden, Bryer. Es tut mir so leid, dass ich dich nicht retten konnte."

Zu diesem Zeitpunkt ist längst eine Großfahndung angelaufen. Die beiden Teenager werden des Mordes angeklagt und landesweit per Haftbefehl gesucht. Am 22. Juli findet die Polizei in der Nähe des Örtchens Gillam in der Provinz Manitoba am Straßenrand das Fluchtauto, der Toyota steht in Flammen. Von den Tatorten bis hier haben die jungen Männer auf ihrer Flucht wohl etwa 4000 Kilometer zurückgelegt, sie haben vier Provinzen durchkreuzt, quer durch Kanada.

Bei Gillam endet mehr oder weniger die Zivilisation, hier beginnt die Wildnis: Wälder, Sümpfe, schroffes Terrain. Die Natur hier ist nicht nur unzugänglich, sondern auch gefährlich, voller Parasiten, Moskitos, Bären und Wölfe. Dass die jungen Männer zu Fuß und unvorbereitet lange in der Wildnis überleben können, bezweifeln Anwohner und Experten. Zu brutal sei die Natur. Die kanadische Polizei veröffentlichte das Bild eines streunenden Eisbären, den Einsatzkräfte bei der Suche zufällig entdeckten und fotografierten. Nach Gillam führe nur eine Straße, sagte Bürgermeister Dwayne Forman, als die Fahndung in seiner Region begann. Und die führe auch wieder aus dem Örtchen hinaus. Gillam sei "das Ende des Weges".

Das kleine Örtchen mit seinen 1200 Einwohnern hat die Fahndung in einen Ausnahmezustand versetzt. Die Polizei mahnte zu äußerster Vorsicht, warnte vor den "bewaffneten und gefährlichen" jungen Männern und richtete Checkpoints ein, um zu kontrollieren, wer die Gegend betritt und verlässt. Spezialflugzeuge der Luftwaffe und Panzerfahrzeuge des Militärs unterstützten die Polizei bei der Suche. Und natürlich wehten schnell die ersten Gerüchte durch den Ort, jemand habe sie gesehen, mitten auf der Straße. Es gab Angst, es gab Panik. Bis sich herausstellte, dass alles gar nicht stimmte.

Und nun also York Landing. Das Örtchen liegt etwa 90 Kilometer Lufttlinie entfernt von Gillam. Es ist die erste Spur, der erste konkrete Hinweis seit einer Woche. Mitten im Nirgendwo geht die Jagd weiter.

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