Süddeutsche Zeitung

Jugendämter:Wenn zu Hause nichts mehr geht

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Von Henrike Roßbach, Berlin

Gewalt, Überforderung, Missbrauch, Drogensucht, Vernachlässigung - wenn das Jugendamt Mitarbeiter schickt, um Kinder aus einer Familie herauszunehmen, ist das oft der letzte Schritt am Ende eines langen Leidenswegs. 61 383 Fälle dieser Art habe es im vergangenen Jahr gegeben, teilte das Statistische Bundesamt am Mittwoch mit. Im Jahr davor war die Zahl noch deutlich höher: 2016 wurden 84 230 Kinder und Jugendliche in Obhut genommen. Das allerdings lag vor allem an der Vielzahl unbegleiteter Flüchtlinge, die ebenfalls in der Statistik auftauchen: 2016 waren es fast 45 000, 2017 dann nur noch halb so viele.

In 58 Prozent der Fälle ging die Inobhutnahme von den Jugendämtern und sozialen Diensten aus, in 17 Prozent waren es die Kinder und Jugendlichen selbst, die Hilfe bei den Behörden suchten. 14 Prozent der Inobhutnahmen gingen Hinweise der Polizei voraus, nur in sechs Prozent der Fälle waren es die Eltern, die sich ans Jugendamt wandten. Auf die übrigen fünf Prozent machten Ärzte, Lehrer oder Verwandte aufmerksam.

Nur jedes zweite Kind blieb länger als zwei Wochen in Pflegefamilien oder Heimen

Die Grundlage für das Vorgehen der Jugendämter liefert das Sozialgesetzbuch. Demnach müssen Kinder vorübergehend in Obhut genommen werden, wenn sie darum bitten, wenn ihr Kindeswohl dringend gefährdet ist oder wenn Minderjährige aus dem Ausland alleine nach Deutschland gekommen sind. Bis eine dauerhafte Lösung gefunden ist, kommen die Betroffenen in Pflegefamilien oder Heimen unter, Jugendliche auch in betreuten Wohnformen.

2017 war ein Drittel der Jungen und Mädchen jünger als 14 Jahre. In dieser Gruppe war die Überforderung der Eltern mit knapp 50 Prozent der häufigste Grund für das Einschreiten der Ämter, gefolgt von Vernachlässigung und Misshandlungen. Bei Jugendlichen bis 18 Jahre war der Hauptgrund die unbegleitete Einreise. Weitere, wenn auch seltenere Gründe, waren Straftaten der Jugendlichen, Probleme in der Schule oder Ausbildung, Scheidung der Eltern, Suchtprobleme. Fast jeder dritte in Obhut genommene Jugendliche und jedes zehnte Kind war vor der Maßnahme zu Hause ausgerissen.

Bei den Kindern kehrte etwas weniger als die Hälfte nach einiger Zeit in ihre Familien zurück, bei den Jugendlichen war es nur knapp jeder Fünfte. Die Inobhutnahme ist als vorläufige Schutzmaßnahme gedacht; jede zweite endete im vergangenen Jahr nach weniger als zwei Wochen.

Mitte Mai hatte eine Befragung von Jugendamtsmitarbeitern ergeben, dass die Fallzahlen beim Allgemeinen Sozialen Dienst in einigen Bundesländern sehr hoch sind - und damit auch die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter, die für Inobhutnahmen zuständig sind. Zudem kosten die Dokumentationspflichten offenbar viel Zeit, die dann beispielsweise für Hausbesuche fehlt.

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Quelle:
SZ vom 23.08.2018
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