Süddeutsche Zeitung

Stilkritik: Rücken:Wirbel um Wirbel

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Rückenschmerzen hätten das Arbeiten unmöglich gemacht, klagt eine Irin. Doch weil sie an einem Christbaumwurf-Wettbewerb teilgenommen hat, bekommt sie nun kein Geld von ihrer Versicherung. Das geht so nicht.

Von Martin Zips

Kamila G., so liest man dieser Tage im Irish Independent, sei gerade eine Versicherungssumme in Höhe von 760 383 Euro abgesprochen worden. Mehr als fünf Jahre lang, so hatte die Irin vor dem Obersten Gericht in Limerick argumentiert, habe sie wegen Rücken- und Nackenschmerzen nach einem im Jahr 2017 erlittenen Autounfall nicht mehr arbeiten können. Also stehe ihr, einer 36-jährigen Mutter zweier Kinder, diese Versicherungssumme zu. Dumm nur, dass während des Verfahrens dann ein Foto auftauchte, welches G. bei einem Christbaumwurf der "Irish International Christmas Tree Throwing Championship 2018" zeigt. Die hier eingefangene "agile Bewegung" stehe im Widerspruch zu ihren Behauptungen, urteilte die Justiz. Ähnlich wertete man ein Video, welches G. beim Herumtollen mit einem Hund zeigt.

Dazu ist an dieser Stelle zu sagen: Versicherungsbetrug ist eine üble Sache! Immer wieder behaupten Menschen ja, man habe ihnen etwas gestohlen, das in Wirklichkeit noch in ihrem Fahrradständer steht. Um an Geld zu gelangen, scheuen Betrüger selbst davor nicht zurück, sich Finger abzuschneiden oder ihre Liebsten für tot zu erklären.

Im Fall G. jedoch wäre unbedingt die Hinzuziehung eines orthopädischen Gutachters anzuraten gewesen. Es könnte ja sein, dass der Klägerin zur Stärkung ihrer Rückenmuskulatur der professionelle Christbaumwurf ausdrücklich empfohlen wurde. Man stößt ja immer wieder auf interessante Expertenmeinungen zu dem Thema. Vielleicht wollte G. ihren Arbeitgeber lediglich vor der Anschaffung eines dieser sündhaft teuren elektrischen Stehschreibtische sowie ihre Krankenversicherung vor der Bezahlung uferloser physiotherapeutischer Behandlungen bewahren. Der Christbaumwurf (G. gewann den Wettbewerb sogar!) könnte ihr als perfekter Ausweg erschienen sein, endlich den metzgerähnlichen Behandlungsmethoden ihres Chiropraktikers oder einer ihr von einer Privatklinik zuvor empfohlenen, sehr kostenintensiven, aber nicht risikolosen Rücken-OP doch noch zu entgehen.

Ein Urteil jedenfalls, welches den Christbaumwurf als solchen infrage stellt, wird dem Fall nicht gerecht. G.s Verfahren sollte daher neu aufgerollt werden. Wirbel um Wirbel.

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