Süddeutsche Zeitung

Höhlenrettung in Thailand:Himmel und Höhle

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Von Arne Perras

Als der australische Höhlentaucher Craig Challen vergangenen Sommer in Canberra einen Tapferkeitsorden entgegennahm, sagte er: "Wir sind nur ein paar normale Kerle mit einem ungewöhnlichen Hobby." Das klang sympathisch bescheiden, aber konnte doch nicht ferner von der Wahrheit sein. Denn was die Retter am 23. Juni 2018 in Thailand leisteten, war alles andere als Routine: Viele sprachen vom Höhlenwunder.

Am 23. Juni jährt sich das Höhlendrama von Tham Luang, zwölf Jungs und ihr Fußballtrainer waren an jenem Tag in die Grotte geklettert und kamen nach heftigen Regenfällen nicht mehr heraus. Erst 17 Tage später gelang es Tauchern, alle unversehrt aus der überfluteten Höhle zu retten, die ganze Welt zitterte mit. Und wer weiß, ob ohne Challens australischen Kollegen, den Anästhesisten Richard Harris, das Wagnis überhaupt ein gutes Ende genommen hätte. Denn in all den Tagen des Bangens war eine Frage immer beherrschend: Wie bekommt man die erschöpften Kinder, die teils nicht mal schwimmen konnten, geschweige denn tauchen, heil und ohne Panik durch das enge tückische Labyrinth ins Freie?

Am Ende wurden sie alle mit einem starken Beruhigungsmittel in den Dämmerschlaf befördert und dann, mit Atemmaske im Gesicht, von Experten aus mehreren Ländern hinausgeschleust. Harris war anfangs skeptisch gewesen, er dachte, das könnte kaum gelingen. Und doch gab es nur diesen einen Weg. Schließlich sah man nachts eine Ambulanz nach der anderen den schlammigen Weg durch den Wald ins Krankenhaus rollen. Es waren Lichter, die den Eltern signalisierten: Da sind die Jungs, sie kommen jetzt. Noch einige bange Minuten, ob sie gesund sein würden. Dann die erlösende Nachricht: Alle Kinder und der Trainer waren heil aus der Höhle herausgekommen.

Ein einheimischer Taucher war in der Höhle gestorben

Dennoch hatte das Wunder von Tham Luang schon früh seine tragische Seite, einer der einheimischen Taucher war bei den Arbeiten in der Höhle gestorben, sie haben ihm später ein Denkmal aus Bronze errichtet: Saman Gunam, Taucher der königlich-thailändischen Marine, er ist längst in den Rang eines Nationalhelden erhoben worden, wie die ganze Geschichte der Rettung gerne vom thailändischen Militär gekapert wird, um Zuversicht und Stolz der Nation zu mehren. Viele erfreuliche Nachrichten gab es in letzter Zeit aus dem Königreich ja nicht zu vermelden, die Armee klammert sich nach zweifelhaften Wahlen weiter an die Macht, die Demokraten Thailands sind frustriert.

Und die geretteten Jungs? Ein Jahr danach machen sie noch immer einen recht entrückten Eindruck. Es ist nicht so, als könnte man einfach wieder anknüpfen an die Momente der Rettung, als man zumindest mit der Tante eines Jungen sprechen konnte. Zwar reisten die Geretteten schon bald nach ihrem Martyrium als Berühmtheiten zu Fußballspielen und Galas um die Welt. Doch nun leben sie doch sehr abgeschirmt. Interviews müssen bezahlt werden, welche Leute darüber entscheiden, ist schwer zu durchschauen.

Sicher ist nur: Die Familien entziehen sich der Öffentlichkeit, was daran liegen dürfte, dass die Jungen und ihr Coach die Filmrechte ihrer Story verkauft haben. Im September soll die Produktion "The Cave" zu sehen sein. Das Wunder von Tham Luang ist nun den Gesetzen des Marktes unterworfen, die Geretteten haben sich - auch auf Betreiben des thailändischen Staates - in einer Firma zusammengeschlossen. Wie man im Mai erfuhr, hat sie auch einen Vertrag mit Netflix unterzeichnet, der US-Konzern plant, eine Miniserie über die Jungen zu produzieren.

Sie wollten mit allen Beteiligten zusammenarbeiten, ließ der 25-jährige Coach des Fußballteams wissen, damit "unsere Geschichte auch richtig wiedergegeben wird". Der Trainer wurde damals viel kritisiert, weil er die Kinder trotz des Regens nicht von ihrem Höhlenabenteuer abgehalten hatte. Andererseits spielte der Mann offenbar eine wichtige Rolle, um die Moral seiner Jungs hochzuhalten und sie in den Tagen im Dunkeln vor Panik zu bewahren.

Seit der Rettung strömen Massen aus aller Welt nach Mae Sai

Einer, der die Jungs jetzt öfters bei der Arbeit sieht, ist Kawee Prasompol. Als Direktor des Schutzgebietes Tham Luang wacht er über die Verhältnisse rund um die Höhle, das Gebiet soll schon bald in einen Nationalpark verwandelt werden, wo dann auch Eintritt fällig wird. Wenn Prasompol den Jungs begegnet, begrüßen sie einander höflich, aber ein längeres Gespräch habe sich bisher nie entwickelt, berichtet der Direktor auf Anfrage der SZ. Die Jungs scheinen sehr beschäftigt zu sein. Und auch sonst ist vor der Höhle nichts mehr, wie es einmal war.

Früher war die Zahl der Touristen, die in den äußersten Norden Thailands reisten, überschaubar, pro Jahr kamen etwa 40 000, um das hügelige Waldgebiet nahe den Grenzen zu Laos und Myanmar zu erkunden. Seit der Rettung aber strömen Massen aus aller Welt nach Mae Sai, von Oktober bis April zählten sie nun schon 1,3 Millionen. Wo früher nur wenige Händler am Straßenrand zu finden waren, reihen sich jetzt 241 Souvenir- und Essensstände aneinander, erzählt Direktor Prasompol.

Man kann sich Poster von der Mannschaft Moo Pa ("Die Wildschweine") kaufen, oder auch T-Shirts, auf denen das Gesicht des gestorbenen Marinetauchers über den Bergen schwebt. In einem Gedenkpavillon aus Teak vor der Höhle können Besucher das riesiges Ölgemälde "Die Helden" betrachten, drei mal 13 Meter. Die geretteten Jungs, ein symbolisches Wildschwein, Helfer, Soldaten, natürlich die Taucher, alle sind dort zu sehen, und selbst Putsch-General Prayuth Chan-ocha, der nun erneut Premier geworden ist, hat seinen Platz im Bild gefunden.

"Lotto ist hier schon eine Lebensart"

Während sich ausländische Gäste vor allem für den Ablauf der Rettung und die Höhle selbst interessierten, kämen viele thailändische Besucher, um zur Göttin des Berges, Nang Non, zu beten, erzählt Prasompol. "Wenn sie das tun, erzählen sie danach, dass sie eine Gänsehaut bekommen hätten." Derzeit arbeite man daran, dass Leute künftig auch in die Höhle hineinkönnten. Wieder andere kommen nur, weil sie daran glauben, dass vor der Höhle nun das Glück zu Hause ist. Das Lottogeschäft boomt. "Ich habe gehört, dass viele gewonnen hätten, als zwei myanmarische Mönche zu Besuch kamen", sagt Prasompol, ob die Zahl der geretteten "13" tatsächlich eine Glückszahl sei, könne er aber auch nicht sagen. Die Lotterieverkäufer jedenfalls können sich kaum beklagen, sie gehören jetzt, wie all die gemalten Helden, zum Bild vor der Höhle Tham Luang. "Lotto ist hier schon eine Lebensart."

Am Sonntag und Montag sind nun feierliche Zeremonien vor der Höhle geplant. Um an die Rettung zu erinnern und um des gestorbenen Tauchers zu gedenken.

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Quelle:
SZ vom 22.06.2019
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