Süddeutsche Zeitung

Filmgeschichte:"Der große Diktator" wird 80

Lesezeit: 2 min

Nie war politische Satire gewaltiger als bei Charlie Chaplin. Zuletzt versuchte der brasilianische Präsident Bolsonaro sie als Waffe zu nutzen.

Von Martin Zips

Als vor einigen Wochen der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro auf einer Pressekonferenz unangenehme Fragen zur Wirtschaftssituation seines Landes fürchtete, holte er sich einen Imitator an seine Seite. Der Komiker verteilte Bananen und bemühte sich, die an den Präsidenten gerichteten Fragen ins Lächerliche zu ziehen. Satire kann eine Waffe sein. Auch für Politiker.

Meist jedoch dient Satire als Mittel gegen die Mächtigen. Alec Baldwin und Jim Carrey zeigen das dieser Tage eindrucksvoll in der TV-Show "Saturday Night Live", wo sie die US-Präsidentschaftskandidaten aufs Korn nehmen. Ihre Kollegen Jón Gnarr in Island, Beppe Grillo in Italien, Jimmy Morales in Guatemala oder Wolodimir Selenskij in der Ukraine haben es dank ihrer humoristischen Begabung sogar in politische Ämter geschafft.

Nie jedoch war politische Satire gewaltiger als in Charlie Chaplins Film "Der große Diktator". In diesen Tagen feiert das Werk, das dem Kunstwort "Schtonk" zu Weltruhm verhalf, seinen 80. Geburtstag und wird weltweit mit Aufführungen und Ausstellungen bedacht. Der Widerstand gegen Chaplins Satire war anfangs groß; aus Angst vor einer wie auch immer gearteten Rache des Diktators fanden sich in Hollywood keine Geldgeber. Chaplin stemmte das Projekt alleine. Ende der 30er-Jahre war er der berühmteste Komiker der Welt.

Am Ende war es Präsident Franklin D. Roosevelt, der - wie Chaplins Assistent Dan James 1983 erzählte - dem Filmemacher ausrichten ließ: "Der Präsident steht hinter ihnen. Machen Sie sich keine Sorgen um den Verleih. Roosevelt sorgt schon dafür. Er findet es sehr wichtig, dass Sie den Film machen. Lassen Sie sich von niemandem davon abhalten." Die Dreharbeiten begannen im September 1939, kurz nach Kriegsbeginn.

Seitdem scheiterten Satiriker immer wieder mit ihren Versuchen, die Schrecken des Dritten Reichs als Komödie darzustellen. Jerry Lewis war sein Projekt "The Day the Clown Cried" Anfang der Siebzigerjahre so peinlich, dass er die Aufnahmen jahrzehntelang unter Verschluss hielt. Auch Dani Levys "Mein Führer" mit Helge Schneider oder "Das As der Asse" mit Jean-Paul Belmondo mussten sich den Vorwurf der Verharmlosung gefallen lassen. "Das Leben ist schön" von Roberto Benigni und "Sein oder Nichtsein" von Ernst Lubitsch hingegen gelten als geglückt.

Chaplins Satire, die in vielen Ländern lange verboten blieb und in Deutschland erst 1958 in die Kinos kam, wurde von der New York Times als "vielleicht wichtigster Film, der je produziert wurde" bezeichnet. Die Debatte um einen Kriegseintritt der USA feuerte er mit an. In der Schlussrede seines Werks ruft er die Zuschauer zum Kampf für Humanismus und Freiheit auf. Als sie am 459. Drehtag aufgenommen wurde, fuhr Hitler gerade in Paris ein. Hätte er zu dieser Zeit schon vom millionenfachen Morden in den Konzentrationslagern gewusst, sagte Chaplin später, hätte er sich niemals lustig machen können.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5092943
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.