Süddeutsche Zeitung

Hillary Clinton bei der Biennale:62 000 Seiten ausgedruckter Skandal

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Hillary Clinton beweist Selbstironie: Sie blättert bei einer Kunstinstallation durch jene ausgedruckten E-Mails, die sie vermutlich die Präsidentschaft kosteten.

Von Beate Wild

Glücklich ist der, der über sich selbst lachen kann. Der nicht zu sehr über seinen Problemen brütet, sondern stattdessen sich und die eigenen Fehler mit Selbstironie nimmt. Dass ausgerechnet Hillary Clinton, Ex-US-Präsidentschaftskandidatin und wohl berühmteste Wahlverliererin der Welt, eine ungeahnte Fähigkeit zum Humor in eigener Sache hat, ist einigermaßen überraschend. Gerade erst nahm die 71-Jährige hinter einem massiven Oval-Office-Schreibtisch Platz und blättert sich eine Stunde lang durch ihre eigenen, ausgedruckten E-Mails.

Es war nicht der echte Schreibtisch im Weißen Haus, sondern nur eine Replik auf der Biennale in Venedig. Aber es waren ihre echten E-Mails. Genau die, deretwegen sie wohl nicht Präsidentin geworden ist. Weil während des Wahlkampfes 2016 öffentlich wurde, dass Clinton während ihrer Zeit als US-Außenministerin für ihre gesamte dienstliche Kommunikation ihren privaten, ungesicherten E-Mail-Account genutzt hatte und somit mit Staatsgeheimnissen unverantwortlich umgegangen war. Die US-Bundespolizei FBI ermittelte damals, wenn auch, ohne Anklage zu erheben.

"Lock her up!"-Rufe bei den Trump-Reden

Vor allem aber wusste ihr Konkurrent Donald Trump diesen Fauxpas für sich zu nutzen. Er gewann nicht nur die US-Präsidentschaft, auch heute noch kommt er bei seinen Reden gerne auf Clintons E-Mails zu sprechen, was bei seinen Anhängern stets "Lock her up!"-Rufe ("Sperrt sie ein!") provoziert.

Angesichts dessen ist es durchaus bemerkenswert, dass Clinton, die gerade bei einem Wirtschaftstreffen in Venedig weilte, der Kunstinstallation des US-Künstlers Kenneth Goldsmith im Cinema Teatro Italia überraschend einen Besuch abstattete. Goldsmith hat in Venedig 62 000 Seiten der legendären E-Mails, die zwischen 2009 und 2013 versendet wurden, ausgedruckt und zeigt sie in Form mehrerer enormer Papierstapel unter dem Titel "HILLARY: The Hillary Clinton Emails" der Öffentlichkeit. Er nennt Clintons Geschäftskorrepondenz "das größte Gedicht des 21. Jahrhunderts".

Der Künstler twitterte Fotos von Clinton auf der Biennale und berichtete, sie habe Exzerpte der Mails laut vorgelesen - was wiederum, wie zu erwarten, die üblichen Schmähungen von Trump-Anhängern nach sich zog. Viele anwesende Besucher, so Francesco Urbano Ragazzi, der Kurator der Ausstellung, hätten geglaubt, es handele sich bei der blonden Frau am Schreibtisch um ein Double der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin.

Clinton selbst sagte, die Ausstellung sei nur ein weiterer Beweis, dass in den E-Mails nichts Falsches oder Kontroverses zu finden sei, das könne jeder, der wolle, hier selbst nachlesen. "Sie sind einfach nur langweilig", sagte sie.

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