Süddeutsche Zeitung

Hamburg:"Herzlich Willkommeeeeen... mitten in Mümmelmannsberg"

Lesezeit: 2 min

In dem Hamburger Problemviertel werden Neugeborene künftig per Tusch aus dem Lautsprecher begrüßt - für die Melodie hat sich ein Komponist von den Klängen im Stadtteil inspirieren lassen.

Von Martin Zips

Herr R. wird an diesem Dienstag eher nicht kommen, zur "Feierlichen Eröffnung Geburtenmelder Mümmelmannsberg". Am Telefon fragt der 77 Jahre alte Mann aus der Kandinskyallee 20: "Was? Die stellen mir einen Lautsprecher aufs Dach? Wird das denn laut? Hat der 100 Watt?"

Seit 38 Jahren wohnt R., der eigentlich Radiotechniker ist und sich mit Lautsprechern wirklich ausgezeichnet auskennt, in einem zwölfstöckigen Betonbau. Die Siedlung Mümmelmannsberg gilt mit ihrer uninspirierten Architektur, den vielen Nationalitäten, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern als Hamburger Problemviertel. Die Wohnungen sind günstig und schlecht vermittelbar. Deshalb haben die Wohnungsunternehmen das "Stadtteilmarketing Mümmelmannsberg" schon vor Jahren damit beauftragt, sich ein paar Gedanken zu machen, wie man das Viertel attraktiver machen kann.

"Wir haben hier schon einen Tanz an der Hochhauswand aufgeführt und eine Wolkenkratzergalerie eröffnet", sagt Kulturmanagerin Franziska Wellner. "Auch Stromkästen haben wir von Künstlern gestalten lassen und den Film 'From Mümmel with love' gedreht." Jetzt also die Idee mit dem Lautsprecher, über den jedes Neugeborene - auf Antrag der Eltern - mit einem Tusch begrüßt werden kann. "Herzlich Willkommeeeeen, mitten im Leeebeeeen, mitten in Mümmelmannsberg", wird immer wieder dann aus dem Lautsprecher auf der Hausnummer 20 zu hören sein, wenn ein neues "Mümmel-Kind" gerade das Licht der Welt erblickt hat.

Der Oberschlesier R. hat bereits zwei erwachsene Kinder, Enkel und Urenkel. Er hat seine Kinder aufgezogen, nachdem seine Frau gestorben war - kurz nachdem er nach Hamburg ging. Und? Was hält er von dem Lautsprecher? "Ach", sagt R., "die Wohnungen hier sind doch eh viel zu klein für Familien."

"In Aarhus in Dänemark ertönt bei jedem Baby ein Willkommens-Gong in der öffentlichen Bücherei", weiß Frau Wellner vom Stadtteilmarketing. "Davon waren wir sehr begeistert und haben die Sache für Mümmelmannsberg weiterentwickelt." Mit Stadtteilkantor Bernhard König, einem freiberuflichen Komponisten, sei man "eine Kooperation" eingegangen. (König möchte zu der Aktion eher nichts sagen und verweist zurück ans Stadtteilmarketing.)

"Und da fehlt es schon sehr an Herzlichkeit"

PR-Fachfrau Wellner erklärt, der Komponist habe in der Großsiedlung unterschiedlichste Klanginspirationen gesammelt und diese zu einer "Willkommensmelodie" zusammengefügt. Gemeinsam mit den Wohnungseigentümern denke man jetzt darüber nach, die Beschallungsanlage auch "für andere Dinge" zu nutzen. Zum Beispiel "für Verabschiedungen". Das freilich klingt sehr nach Gentrifizierung.

Vorerst jedoch wird allein der Geburtstusch über Herrn R.s Wohnung zu hören sein. "Die haben dazu Zettel verteilt", sagt der Rentner, der mit 800 Euro im Monat auskommen muss. "Aber ich habe überhaupt nicht verstanden, worum es ging." Gut, aber so ein Willkommensgruß ist ja nicht schlecht, oder? "Das Problem ist weniger, was auf dem Dach ist", sagt R. "Es ist eher das Problem, wie man sich auf den Fluren begegnet. Ob man sich füreinander interessiert, seine Hilfe anbietet. Und da fehlt es schon sehr an Herzlichkeit. Vor allem bei den Deutschen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4207864
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.11.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.