Süddeutsche Zeitung

Rapper Nipsey Hussle erschossen:"Das ist kein Witz. Das ist Los Angeles"

Lesezeit: 4 min

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Vor fast 30 Jahren hat der Rapper Ice Cube das Lied "How To Survive in South Central" veröffentlicht, es ist eine Anleitung zum Überleben in diesem gefährlichen Viertel im Süden von Los Angeles, und sie ist heute so treffend wie damals. "You say, the strong survive; shit, the strong even die in South Central", heißt es darin, frei übersetzt: "Es heißt immer, dass die Starken überleben; verdammt noch mal, in South Central sterben selbst die Starken." Am Sonntagnachmittag ist einer derjenigen gestorben, die man zu den Starken zählte, der Rapper Nipsey Hussle ist vor seinem Klamottengeschäft an der Straßenecke Slauson/Crenshaw erschossen worden.

Die Adresse ist von Bedeutung, weil sich gerade im Süden der Stadt einzelne Orte Gangs zuordnen lassen: Es gibt dafür präzise und stets aktuelle Karten. Die Ecke Slauson/Crenshaw und die Gegend im Südwesten davon wird von den W/S Rollin' 60's Neighborhood Crips kontrolliert, die sich seit Jahrzehnten blutige Fehden mit den Banden aus umliegenden Vierteln liefern. Nur ein paar Meter von Hussles Geschäft entfernt beginnt zum Beispiel das Revier der verfeindeten W/S Van Ness Gangster Brims.

Abends können einen im Süden von Los Angeles ein paar Schritte auf der falschen Straßenseite in Lebensgefahr bringen, und an die Hauswände sind Schriften und Malereien gesprüht - allein für Gangmitglieder zu identifizierende Botschaften, was kürzlich passiert ist oder was sich bald ereignen wird. Selbst Leute, die ihr komplettes Leben in der einen Gegend verbracht haben, würden vor allem nach Sonnenuntergang niemals ein anderes Viertel betreten.

Die Polizei von Los Angeles hat die Stadt in 209 Bezirke unterteilt; das Viertel, in dem Hussle erschossen worden ist, liegt in der Gewaltverbrechen-pro-10 000-Einwohner-Statistik auf Platz 20 - von den 19 als noch gefährlicher eingestuften Vierteln liegen 15 in einem Umkreis von weniger als drei Kilometern. In diesen 16 Vierteln sind im vergangenen halben Jahr insgesamt 3507 Gewaltverbrechen bei der Polizei gemeldet worden.

Von "wahnwitzig gefährlich" hin zu "noch immer gefährlich"

Das von Ice Cube besungene "South Central" ist mittlerweile in "South LA" umbenannt worden, der neue Name soll eine Entwicklung andeuten und die Rassenunruhen der 1990er-Jahre vergessen lassen. Die Straßen sind in den vergangenen Jahren zwar sicherer geworden, allerdings ist das Wort "sicher" hier relativ: Im Grunde fand eine Entwicklung von "wahnwitzig gefährlich" hin zu "noch immer gefährlich" statt. Und: "Die Gewalt hat zuletzt wieder bedenklich zugenommen", schreibt Polizeichef Michel Moore bei Twitter: "Seit vergangenen Sonntag sind 26 Menschen von Kugeln getroffen und zehn weitere ermordet worden." 10 Tote, 26 Verletzte, die bittere Bilanz einer nicht ganz normalen, aber auch nicht völlig ungewöhnlichen Woche in Los Angeles.

Die Gangs sind dabei keine wilde Banden, sondern bestens vernetzte und oftmals mit modernster Technologie ausgestattete Gruppen mit Verbindungen zu mächtigen Kartellen im Ausland.

Nipsey Hussle, der im Jahr 1985 als Ermias Asghedom in dieser Gegend zur Welt gekommen war, ist als Teenager ein Mitglied der Rollin' 60s gewesen. "Es war wie im Kriegsgebiet", sagte er im vergangenen Jahr der Los Angeles Times über seine Jugend: "Die Leute sind zuhauf in diesen Vierteln gestorben, und jeder ist womöglich ein bisschen abgestumpft, weil es diese Kämpfe schon so lange gibt. Los Angeles leidet darunter, weil wir mittlerweile so tun, als wäre alles in Ordnung - aber das ist es nicht."

Nipsey Hussle hatte es als Musiker zu Ruhm und Reichtum gebracht, das Album "Victory Lap" war in diesem Jahr für einen Grammy nominiert. Viel bedeutsamer indes war sein gesellschaftliches Engagement für seine Herkunft. "Bei uns heißt es immer: 'Werde Sportler oder Entertainer'", sagte er der LA Times, "das ist schon in Ordnung, aber es sollte etwas geben wie: 'Mach' es wie Elon Musk! Mach' es wie Mark Zuckerberg!'" Im vergangenen Jahr gründete er in seinem Viertel das Unternehmen Vector 90, in dem junge Leute an Ideen basteln, Firmen gründen und nach Investoren suchen sollten: ein anderer Ausweg als Sport und Musik.

Er wollte offenbar etwas tun für sein Viertel, deshalb gab es dieses Klamottengeschäft in dieser Ladenzeile an der Straßenecke Slauson/Crenshaw, wo er zuvor aus dem Kofferraum heraus seine ersten CDs verkauft hatte. Nipsey Hussle besaß in der Gegend zudem ein Friseurgeschäft, einen Burgerladen und einen Fischmarkt. Für Montagnachmittag hatte er ein Treffen mit den beiden Polizeichefs von Los Angeles vereinbart, Michel Moore und Steve Soboroff. Thema des Gesprächs sollte sein, wie die Gang-Gewalt eingedämmt und Kindern geholfen werden kann.

"Es ist ein Segen, starke Feinde zu haben"

Am Tag vor seinem Tod schrieb Nipsey Hussle bei Twitter: "Es ist ein Segen, starke Feinde zu haben." Nun ist er tot, es heißt, er habe seinen späteren Mörder damit konfrontiert, ob der Geheimnisse an die Polizei verraten habe. Für diesen Verdacht, einen der schlimmsten unter Gang-Mitgliedern, habe sich der Täter rächen wollen. Nipsey Hussle wurde gerade mal 33 Jahre alt und hinterlässt zwei Kinder.

Inzwischen hat das Los Angeles Police Department diesen Mann als Tatverdächtigen festgenommen. Es handelt sich um einen 29-Jährigen. Nachdem er die Schüsse auf die Gruppe um Nipsey Hussle abgegeben haben soll, ist er mutmaßlich in einem weißen Chevrolet geflüchtet. Am Steuer soll eine bislang nicht identifizierte Frau gesessen haben. Auf Twitter hatte die Polizei einen Fahndungsbrief veröffentlicht.

Am Ende des alten Liedes von Ice Cube über South LA heißt es: "Du wirst erschossen, einfach so. Das ist kein Witz. Das ist Los Angeles." Wie aktuell diese Sätze auch heute noch sind, zeigt nicht nur der Mord an Nipsey Hussle. Bei der Mahnwache am Montagabend am Tatort mit Hunderten Trauernden gab es eine Messerstecherei, mehrere Personen wurden verletzt, eine von ihnen lebensgefährlich.

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Quelle:
SZ vom 03.04.2019
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