Süddeutsche Zeitung

Fehlende Zivilcourage in Wien:Passanten lassen Mann sterbend in U-Bahn-Aufzug liegen

Lesezeit: 1 min

Von Christopher Pramstaller

Mitten in der Wiener Innenstadt ließen Passanten einen 58-Jährigen fünf Stunden lang sterbend in einem U-Bahn-Aufzug liegen. Nach einem Kollaps war er dort zusammengebrochen. Keiner ergriff Sicherheitsmaßnahmen, niemand leistete Hilfe.

"Der Mann brach um zwei Uhr in der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember in einem Aufzug an der U-Bahn-Station Volkstheater zusammen", teilt die Pressestelle des Verkehrsbetriebes Wiener Linien mit. Tragisch ist, dass der Mann möglicherweise hätte gerettet werden können. Der Aufzug wurde von mehreren Personen benutzt, während er regungslos dort lag - noch lebend. Doch weder wurde der Notrufknopf betätigt noch mit dem Handy Hilfe gerufen. Das zeigen Videoaufzeichnungen, die den Wiener Linien und der örtlichen Polizei vorliegen.

Reinigungskraft leitet Rettungsmaßnahmen ein

Am Morgen wurde der Mann schließlich von einem Reinigungsmitarbeiter gefunden und seine Rettung veranlasst. Das allerdings erst um kurz nach sieben Uhr am Morgen. Trotz Wiederbelebungsversuche starb der 58-Jährige auf dem Weg ins Krankenhaus.

"Auf den Video-Aufnahmen ist zu erkennen, wie der Mann in den Aufzug steigt und dann wohl nach einem Herzinfarkt zusammenbricht. Es sieht so aus, als ob der Mann schlafen könnte", sagt die Wiener Polizei.

Stationsaufsicht lässt Kontrollgang ausfallen

Der Vorfall könnte erhebliche Konsequenzen für die Passanten haben, die den Notruf nicht betätigten. Die Polizei prüft derzeit, ob eine Anzeige wegen Unterlassung der Hilfeleistung erstattet wird. Nach österreichischem Recht stehen darauf Geldstrafen bis hin zu einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten.

46 000 Menschen benutzen an Wochenenden pro Nacht durchschnittlich die U-Bahnen in Wien, ein Teil davon auch die Aufzüge. 6000 Kameras sind im gesamten Wiener Linien-Netz angebracht, allerdings werden ihre Bilder nicht ständig von Mitarbeitern überwacht. Auch Stationswachen sind damit beauftragt, die Wege und Aufzüge regelmäßig abzulaufen. Sie hätten den Mann schon viel früher finden müssen.

"Die Stationsaufsicht ist eigentlich verpflichtet, nachts zwei Kontrollgänge durchzuführen", so die Wiener Linien. "Einer dieser Kontrollgänge wurde allerdings eigenmächtig ausgelassen." Zu den Gründen wurden keine Angaben gemacht. Mittlerweile sind die Mitarbeiter allerdings nicht mehr bei den Wiener Linien beschäftigt und der Verkehrsbetrieb hat angekündigt, die internen Kontrollen zu verschärfen.

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SZ.de/pram
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