Süddeutsche Zeitung

Urteil im Fall Greta:Erzieherin wegen Mordes verurteilt

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Sandra M. soll Kitakind Greta während des Mittagsschlafs den Brustkorb zusammengedrückt haben. Nun wurde die Erzieherin zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Zudem stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest.

Von Jana Stegemann, Mönchengladbach

Gretas Mutter erhoffte sich eine Antwort von diesem Prozess. Eine Antwort, warum ihre Tochter an dem Ort, den sie so gerne mochte, sterben musste. Diese Antwort hat sie nicht bekommen. Sandra M. hatte alle Vorwürfe zurückgewiesen. Das Landgericht Mönchengladbach hat die Erzieherin am Freitag wegen Mordes schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Zudem wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt, sodass sie frühestens nach 20 Jahren aus der Haft entlassen werden könnte. Die 25-Jährige nahm das Urteil weinend, aber äußerlich gefasst auf. Sie blickte während der Urteilsverkündung zur Decke.

Fünf Monate lang hatte das Gericht versucht, sich ein Bild von den Umständen zu machen, die zum Tod von Greta in der Kita "Am Steinkreis" im nordrhein-westfälischen Viersen geführt haben. Dafür hörte die Kammer an knapp 20 Verhandlungstagen mehr als 20 Zeuginnen und Zeugen. Es war ein reiner Indizienprozess, Sandra M. hatte am ersten Prozesstag über ihre Verteidiger erklären lassen, unschuldig zu sein.

Greta war am 21. April 2020 am Nachmittag das einzige Kind in der Notbetreuung der Kita und alleine mit der Erzieherin. Laut Staatsanwaltschaft soll Sandra M. dem Mädchen während des Mittagsschlafs den Brustkorb bis zum Atemstillstand zusammengedrückt haben. Greta starb zehn Tage später, einen Tag nach ihrem dritten Geburtstag. Als Todesursache wurde ein Hirnschaden festgestellt als Folge eines Sauerstoffmangels. Der Chefarzt der Kinderklinik zeigte den Fall schließlich an, weil er sich die Todesumstände nicht erklären konnte.

"Wir meinen, dass die Taten Ergebnis erzieherischer Maßnahmen waren"

"Viele Indizien wurden hier zu einer Gewissheit", sagte der Vorsitzende Richter Lothar Beckers am Freitagnachmittag. "Der Fall ist medizinisch so gut und zeitnah untersucht worden, wie wir es hier vor Gericht wohl noch nie hatten. Greta wurde medizinisch auf den Kopf gestellt." Allein die Krankenakte des Mädchens umfasst 400 Seiten; das Mädchen wurde bis zu seinem Tod knapp zwei Wochen in einer Kinderklinik behandelt. "Und alle Fachleute haben keine natürliche Ursache für ihren Tod feststellen können. Im Gegenteil: Ihre Kinderärzte berichteten von einem kerngesunden Kind." Die Kammer sei daher der festen Überzeugung, dass sich der Fall so zugetragen hat, wie die Staatsanwaltschaft ihn angeklagt hatte.

Das Gericht sah wegen der Arg- und Wehrlosigkeit des Mädchens Greta und der besonderen Stellung der Erzieherin zwei Mordmerkmale erfüllt: Heimtücke und niedrige Beweggründe. Anders als Staatsanwaltschaft und Nebenklagevertreter, die vermuteten, dass die Angeklagte sich als Retterin und Helferin habe aufspielen wollen, hält das Gericht jedoch ein anderes Motiv für wahrscheinlich.

Richter Beckers sagte in seiner knapp einstündigen Urteilsbegründung: "Wir meinen, dass die Taten Ergebnis erzieherischer Maßnahmen waren. Die Angeklagte ist uns beschrieben worden, als jemand, der große Durchsetzungsprobleme hatte." Daher gehe das Gericht davon aus, dass "die Angeklagte kurz vor der Tatbegehung irgendetwas, das Greta tat oder sagte, nicht gebilligt hat und dem Kind die Luft abgedrückt hat, um das gewünschte Verhalten zu erreichen."

Zahlreiche Fälle, die verschiedene frühere Kolleginnen und Kollegen von Sandra M. vor Gericht berichtet hatten, bezeichnete Beckers als "bizarres Erziehungsverhalten". So soll Sandra M. einem einjährigen Jungen, der einen Becher umgestoßen hatte, für Stunden das Trinken verweigert haben. Einen Dreijährigen soll sie alleine in einen Raum gesperrt, zu einem Kind, das eine Wurst vom Brot nahm, gesagt haben: "Ey, hast Du sie nicht mehr alle?"

Weitere Vorwürfe aus anderen Kitas

Schon im Anerkennungsjahr wurde vermerkt, dass Sandra M. für den Beruf der Erzieherin ungeeignet sei, keinen Zugang zu Kindern finden könne, ihr die nötige Empathie fehle. In drei Kitas soll sie dann ähnlich vorgegangen sein wie im Fall Greta, allerdings starb dort niemand. Im Fall eines Mädchens und wegen zwei Vorfällen mit einem Jungen wurde Sandra M. zudem wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen verurteilt; in weiteren Fällen wurde sie aber freigesprochen. Richter Beckers sagte dazu: "Die Angeklagte bleibt in diesen Fällen zwar tatverdächtig, aber es sind zu viele Unsicherheiten, die eine Verurteilung nicht möglich machen." Die Kammer würdigte auch ausdrücklich das, was ein dreijähriges Mädchen seinen Eltern nach der Misshandlung gesagt hatte: Dass ihre Erzieherin ihr "feste auf den Bauch gedrückt" hätte. "Wir glauben ihr", sagte Beckers.

In ihrem Schlusswort hatte sich Sandra M. unter Tränen ans Gericht gewendet und gesagt: "Ich wollte schon immer Erzieherin werden, weil ich ein großes Herz für Kinder hatte und immer noch habe. Durch die Aussagen meiner Kollegen und Kolleginnen habe ich aber jetzt erkannt, dass der Beruf der Erzieherin nicht der richtige für mich war. Ich leide sehr unter diesen grausamen Vorwürfen. Ich habe weder Greta noch einem anderen Kind jemals etwas zuleide getan."

M. sei erschüttert über das Urteil, sagten ihre Verteidiger nach Prozessende. Sie hatten für ihre Mandantin einen Freispruch beantragt und wollen nun Revision einlegen. Es gebe weder einen Tatnachweis noch sei die Todesursache eindeutig geklärt. "Damit wird sich der Bundesgerichtshof beschäftigen müssen", sagte einer der Anwälte und deutete damit an, dass der Fall Greta mit diesem Urteil in Mönchengladbach wohl noch nicht abgeschlossen sein dürfte.

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