Süddeutsche Zeitung

Öffentliche Toiletten in Großbritannien:Das stolze Erbe der Volkstoiletten

Lesezeit: 2 min

Von Björn Finke, London

Die Briten zehren noch heute vom Viktorianischen Zeitalter. Im 19. Jahrhundert, unter der langen Herrschaft von Königin Victoria, durchzogen Ingenieure die Insel mit Schienen, sie bauten prächtige Bahnhöfe und Brücken. All das bildet weiterhin das Fundament des Bahnnetzes. Auch viele Abwasserkanäle stammen aus dieser Zeit. Und zahlreiche öffentliche Toiletten. Das Vereinigte Königreich war zwar nicht der erste Staat, der seine Bürger mit für alle zugänglichen stillen Örtchen beglückte. Solche Bedürfnisanstalten sind bereits aus der Antike bekannt. Doch Großbritannien war unter Queen Victoria Vorreiter darin, diese Volkstoiletten in großem Stil im ganzen Land zu eröffnen.

Dieses stolze Erbe ist nun bedroht. Klamme Kommunen schließen Toiletten, um sich die Ausgaben fürs Putzen und Warten zu sparen. Die Lobbygruppe British Toilet Association schätzt, dass in den vergangenen zehn Jahren jedes zweite öffentliche WC für immer verriegelt wurde. Zu den Mitgliedern des Verbands gehören Branchenunternehmen und Gemeinden. In der bei Touristen beliebten Grafschaft Cornwall zum Beispiel sank die Zahl der Bedürfnisanstalten von 247 auf 14. Insgesamt kappten die Stadtkämmerer des Königreichs die Personalbudgets für Toiletten seit 2013 um die Hälfte. Raymond Martin, der Chef der WC-Lobby, klagt, der Mangel an öffentlichen Toiletten mache manche Ältere und Kranke "zu Gefangenen in ihren Wohnungen". Denn wer auf der Straße ein dringendes Bedürfnis verspürt, kann jetzt lange nach einem erlösenden Ort suchen.

Auch in vielen anderen Staaten schließen Kommunen aus Geldnot Toiletten, etwa in Deutschland. Solche Entscheidungen führen stets zu Kritik und besorgten Schlagzeilen. In Großbritannien vermischt sich der Ärger mit Wehmut, dass das Königreich beim Befriedigen dieser Bedürfnisse einmal Pionier war.

Bei der Great Exhibition im Hyde Park, der Weltausstellung in London im Jahr 1851, installierte der Sanitärunternehmer George Jennings eine ganze Reihe Toiletten. Besucher mussten einen Penny zahlen - der Ausdruck "einen Penny ausgeben" entwickelte sich zum Euphemismus für den Gang zum WC. Genau 827 280 Gäste erkauften sich so Erlösung. Nach diesem großen Erfolg brach im ganzen Königreich ein Bauboom für öffentliche Toiletten aus. Damals waren in vielen Häusern die WCs nicht an die Kanalisation angeschlossen; Bewohner kübelten Fäkalien auf die Straße. Die öffentlichen Klos bekämpften ein stinkendes Problem.

Dass Kämmerer die WCs jetzt dichtmachen, ist Symptom einer größeren Malaise. Seit der Finanzkrise hat die konservative Regierung die Zuschüsse an Kommunen zusammengestrichen. Zugleich steigen die Ausgaben für Altenpflege, für die die Gemeinden zuständig sind. Zahlreiche Kommunen stecken in Geldnot, manche stehen vor der Pleite. Sie lassen darum die Müllabfuhr seltener kommen, schließen Büchereien und eben Toiletten.

Immerhin will der Schatzkanzler die Kosten für den Unterhalt öffentlicher WCs ein wenig senken. Bislang müssen Gemeinden für ihre Toiletten Gewerbesteuer zahlen. Finanzminister Philip Hammond schafft diese Verpflichtung nun ab. Ob das wirklich Erlösung bringen wird, ist aber fraglich.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4384185
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.03.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.