Süddeutsche Zeitung

Tiere:Schafe sind die besseren Katzen

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Es ist höchste Zeit, dem Cat Content abzuschwören, denn es gibt da eine Tierart, die viel schöneren Gesprächsstoff liefert.

Von Titus Arnu

"Träumen Androiden von elektrischen Schafen?" So hieß der 1968 erschienene Roman von Philip K. Dick, der später unter dem Titel "Blade Runner" verfilmt wurde. Darin beschäftigt sich der Science-Fiction-Autor mit der spannenden Frage, was Androiden, Menschen und Tiere voneinander unterscheidet - lange, bevor von künstlicher Intelligenz und Schaf-Content im Internet die Rede war. Philip K. Dick zufolge macht nicht der IQ den entscheidenden Unterschied aus, sondern die Empathie.

Bei Empathie für Tiere gilt die Faustregel: Je flauschiger und kindchenschemahafter, desto beliebter beim Menschen. Katzen, Hunde, Kaninchen, Meerschweinchen und Hamster werden deshalb verhätschelt und vermenschlicht. Quallen, Spinnen, Kröten, Ratten und Nacktmulle dagegen haben kaum eine Chance, jemals in die Tier-Top-Ten aufzusteigen. Sehr speziell ist die Empathie der meisten Menschen für sogenannte Nutztiere wie Rinder, Schweine und Schafe. Einerseits sind diese Tiere fast so nett wie Hunde und Katzen, andererseits werden sie traditionell geschlachtet und gegessen.

Manchmal finden Schafe jedoch einen Weg aus dieser emotionalen Gleichgültigkeit. Das "einsamste Schaf Großbritanniens" hat es gerade zur Spitzennachricht der BBC geschaft. Das Tier lebte mehr als zwei Jahre lang allein an einem unzugänglichen Strand in Schottland, eine Kajakfahrerin hatte es erstmals im Jahr 2021 an einer Steilküste gesichtet. Tierschützer sammelten mehr als 55 000 Unterschriften für die Rettung des Schafs, das von seinen Fans auf den Namen Fiona getauft wurde. Schafscherer Cammy Wilson, der eine BBC-Sendung über Landwirtschaft moderiert, stellte einen Trupp von Freiwilligen zusammen, die sich zu Fiona abseilten und sie aus ihrer Wohnhöhle lockten. Anschließend zogen und schoben sie das Tier die Klippe hinauf. Fiona sei übergewichtig und habe ein sehr langes Fell, berichtete Wilson, auch von einem ziemlich schafen Geruch war die Rede.

Das Robinson-Schaf, das durch Videoclips bei BBC, Facebook und Youtube ungewollt Weltruhm erlangte, wurde auf einen Bauernhof gebracht. Doch dann kamen Aktivisten von der Tierschutzorganisation "Animal Rising" und hielten vor der Farm Plakate mit der Aufschrift "Free Fiona" in die Kameras. Sie behaupten, dass der Farmer sich einen Dreck um Sheepy schere, wie sie das Schaf ihrerseits nannten. Er wolle das Tier nur medial ausschlachten. Sie wollen Sheepy in ein Tierheim bei Glasgow bringen. Nun hat Fiona/Sheepy Polizeischutz und hält sich an einem geheimen Ort auf. Vielleicht sehnt es sich bereits an die unzugängliche Klippe zurück.

Wer den schottischen Schaf-Krimi mitverfolgt, fühlt sich leicht belämmert. Wenn sich Tierfreunde überempathisch in eine Sache hineinsteigern, kommt für die Tiere nicht immer das Beste dabei heraus. Dabei hätte der Mensch dem Schaf so viel zurückzugeben, nicht nur wegen der Wolle. Schafe sind nachweislich schlau, treu und wirken beruhigend. Die Tiere können sich Gesichter von Menschen und Artgenossen bis zu zwei Jahre lang merken, wie ein Versuch der Universität Cambridge zeigte.

Schaf-Content ist jedenfalls wohltuender als Katzen-Content und das meiste andere Zeug, das auf Social-Media-Plattformen auf einen einprasselt. Wenn einen mal wieder die Schaflosigkeit plagt, hilft es garantiert, sich Bilder und Filme mit den wuscheligen Vegetariern in der Hauptrolle anzuschauen. Hier unsere Tipps: Schwarznasenschafe mit rosa Locken, die ihre Köpfe allzu intensiv an einer frisch rot gestrichenen Futterstelle gerieben hatten, das dickste Schaf der Welt mit 40 Kilo Wolle am Körper und alles von "Shaun das Schaf". Schön ist auch das Drohnen- Video eines australischen Schafzüchters, der seine Herde dazu brachte, eine Herz-Formation zu bilden, als letzten Gruß an seine todkranke Tante. Es wurde mehrere Millionen Mal angeklickt.

Schafe sind übrigens in der Lage, sich hervorragend räumlich zu orientieren, Formen und Farben zu unterscheiden und aus Labyrinthen herauszufinden. Warum blieb Fiona dann zwei Jahre lang stur an einem unzugänglichen Strand? Man weiß nicht, ob sie von Androiden träumt, aber vielleicht hatte sie einfach die Schnauze voll von der Menschheit.

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