Süddeutsche Zeitung

Dänemark:Dein Leuchtturm steht nun anderswo

Lesezeit: 3 min

Rubjerg Knude Fyr ist das Wahrzeichen der dänischen Nordseeküste. Doch das Meer fraß sich immer näher an ihn heran. Warum also nicht einfach einen Koloss versetzen?

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Nein, sagte der Maurermeister Kjeld Pedersen aus dem nahen Lønstrup den angereisten Reportern, schlecht geschlafen habe er nicht. "Alle haben ihr Bestes gegeben, ich auch. Wenn er umkippt, dann kippt er halt um. Dann haben wir es wenigstens versucht." Anderthalb Jahre hatte er nun geforscht, geklopft und am Ende die entscheidenden Löcher ins Mauerwerk des Fundaments gebohrt: die Löcher, durch die die Streben und Schienen verlegt wurden. "Ich habe viele Häuser gebaut", sagte er dem dänischen Sender DR. "Aber wenn das hier klappt, dann werde ich stolz sein wie der Papst". Da war es 8.47 Uhr. Nur noch wenige Minuten. Um neun Uhr sollte es so weit sein. Dann würden sie ihn in die Höhe heben, also Rubjerg Knude Fyr, den Leuchtturm von der Rubjerg-Erhebung. 120 Jahre alt, ein Koloss von 23 Metern Höhe, vor allem aber 700 Tonnen schwer.

Wobei: Gerechnet hatten sie mit 900 Tonnen, er war also ein wenig leichter als vermutet. Dann, um 9.09 Uhr, die ersten Rufe. Maurer Kjeld Pedersen, stolz wie der Papst, verteilte High fives. Sie hatten ihn angehoben, mit hydraulischen Hebezylindern. Nun bekam er acht spezielle Rollschuhe verpasst und wurde damit auf die Schienen gesetzt. Um 9.47 Uhr weiterer Jubel: Der erste Meter war geschafft.

Der Leuchtturm von Rubjerg Knude machte sich auf den Weg. Er rollte landeinwärts, den ersten von insgesamt 80 Metern. Weg von der Steilküste, die er hinabzustürzen, weg vom Meer, das ihn zu verschlingen drohte. Ausgemacht war das nicht, dass der Umzug ein Erfolg wird, die Umstände waren eher widrig: Der Turm war alt, sein Schwerpunkt lag fast 12 Meter über dem Boden. "Und dann stand er praktisch mitten in einem Sandkasten, ein Sandkasten, der sich auch noch zehn Meter im Jahr bewegt", sagte Projektleiter Thomas Lomholt der Zeitung Politiken.

Die Rubjerg Knude ist ein wildes Stück Landschaft im ansonsten eher lieblich-zahmen Dänemark. Ein Stück Steilküste, das die letzten Eiszeiten geformt haben. Hier liegen die verschiedenen Schichten des Bodens, geformt aus Ton und Sand, nicht horizontal übereinander wie sonst, hier haben die Kräfte der Natur sie vertikal nach oben gedrückt. Und darüber haben sich Dutzende Meter Flugsand abgelegt, sie bilden eine Wanderdüne, die Jahr für Jahr einen anderen Teil der Landschaft verschluckt.

Gebaut wurde der Leuchtturm 1899, in Betrieb genommen dann von gleich drei Leuchtturmwärter-Familien ein Jahr später. Damals lag er 200 Meter weg von der Küste. Die raue Nordsee aber ist gefräßig: Ihre Wellen lecken an der Küste, nehmen ihr im Moment zwei bis zweieinhalb Meter im Jahr, sodass der Turm bis Dienstagmorgen um 9 Uhr nur mehr sechs, sieben Meter vom Abgrund entfernt stand. Und 50, 60 Meter weiter oben tat es all die Jahre der Sand den Wellen gleich und arbeitete sich vor zum Turm, fraß nach und nach die Gärten und die Häuser der Leuchtturmwärter. 1968 schon gaben sie den Leuchtturm deshalb auf. Die Arbeiten für den Umzug nun brachten Reste der verlorenen Gebäude wieder ans Tageslicht, sogar verschüttete Bäume aus den alten Gärten gruben die Arbeiter aus.

Die heute 70-jährige Tochter des letzten Leuchtturmwärters war gekommen, um dem Umzug beizuwohnen, gemeinsam mit Tausenden Schaulustigen. Das dänische Fernsehen übertrug den ganzen Tag per Livestream. Rubjerg Knude Fyr mag schon seit einem halben Jahrhundert keinem Schiff mehr den Weg gewiesen haben, zum Wahrzeichen der dänischen Nordseeküste hat er es dennoch gebracht: 250 000 Touristen besuchen ihn im Jahr, er steht auf der höchsten Erhebung der als Lønstrup Klint bekannten Steilküste. "Er ist nicht 'nur' ein Leuchtturm", schreibt Politiken. Er ist Wächter über eine dramatische Landschaft. Auch deshalb gibt die Regierung fünf Millionen dänische Kronen aus, umgerechnet 670 000 Euro, um ihn zu retten.

Projektleiter Thomas Lomholt und Maurermeister Kjeld Pedersen attestierten den Turmbauern von 1899 "fantastische Arbeit": "So gute Ziegel können wir heute nicht mehr herstellen", meinte Pedersen. Heutige Ziegel hielten im Nordseeklima höchstens 40 Jahre, bevor sie zerbröseln. Pedersens Tochter Ditte Zakarias sagte dem Sender DR hernach, ihr sei ein Stein vom Herzen gefallen. Anders als ihr Vater habe sie in der vergangenen Nacht nicht viel geschlafen und Albträume gehabt, in denen sie den Turm rückwärts ins Wasser stürzen sah. Sie liebe den Turm seit ihrer Kindheit, sagte sie - und zeigte dann ihren Arm: Rubjerg Knude Fyr ist dort als Tattoo verewigt. "Den Leuchtturm nicht mehr sehen zu können, das wäre unerträglich", sagte sie.

Nach knapp sechs Stunden, schneller als erwartet, erreichte der Leuchtturm seinen neuen Standort. Dort darf er sich jetzt ausruhen, geschätzte 30 oder 40 Jahre lang. Dann hat ihn die Nordsee wieder eingeholt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4650978
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.