Süddeutsche Zeitung

Tierparks und Corona:Warum das Virus Eisbär Vitus in Gefahr bringt

Lesezeit: 3 min

Auch Zoos leiden unter der Corona-Krise. Tiere an Tiere zu verfüttern, das wäre der Worst Case, unkt eine Direktorin. Doch ist das ein realistisches Szenario?

Von Peter Burghardt

Der Eisbär. Könnte es ein knalligeres Symbol für diesen Teil der Corona-Krise geben? Die Viren befallen Tiere zwar selten, wie es heißt, obwohl kürzlich die Geschichte von einem infizierten Tiger in einem New Yorker Zoo die Runde machte. Aber der Kampf gegen die Pandemie erfasst auch die Zoos, weil die Zoos geschlossen sind und nichts verdienen, wie so viele Betriebe. So war im Rahmen von Schreckensnachrichten dieser Tage immer wieder das Foto eines Eisbären zu sehen, dazu las man Gruselwörter wie "Schlachtung" und "Notschlachtung".

Bisher stand die deprimierende Seite der Eisbärenwelt vor allem für die Folgen von Klimawandel und menschlichen Exzessen wie der Suche nach Öl und Gas in Polarregionen, der Lebensraum schmilzt dahin. Plötzlich gilt das schöne Tier als eines jener Lebewesen, die sogar im Gehege bedroht sind, ohnehin ein umstrittenes Habitat - gefährdet jedenfalls in jenen Gehegen, in denen für die Fütterung allmählich das Geld ausgeht, wenn keiner mehr kommen darf und keiner mehr zahlt. Und in diesem Fall geht es nicht um irgendeinen Eisbären. Es geht um Vitus, den größten deutschen Eisbären, er misst 3,60 Meter.

Auf einmal kursierte sogar das Gerücht, dass der Riese Vitus der Vater von Knut sei, dem ehemals berühmtesten Eisbären Deutschlands, geliebt und 2011 verstorben in einem Berliner Zoo. Wobei die Vaterschaft bisher meistens einem gewissen Lars zugeschrieben wurde. Wie auch immer: Vitus lebt im Tierpark Neumünster, und dem Tierpark Neumünster geht es im Zuge von Corona so schlecht, dass seine Leiterin über grässliche Szenarien nachdachte.

"Wenn", und das sei "wirklich der allerworst Worst Case, wenn ich kein Geld mehr habe, Futter zu kaufen, oder wenn es passieren sollte, dass mein Futterlieferant aufgrund neuer Restriktionen nicht mehr liefern kann, dann würde ich Tiere schlachten, um andere Tiere zu füttern", wurde Verena Kaspari zitiert, die Zoodirektorin. Andere Zoos sollen gleichwohl Fleisch und Fisch in Aussicht gestellt haben, um den Worst Case zu verhindern. Sie könne Tiere notfalls auch an andere Zoos abgeben, so Kaspari, aber das sei bei einigen Tieren nicht so einfach. Vitus etwa. So einen könne sie "nicht einfach in eine Kiste stecken und woandershin transportieren". Auf der sicher sehr theoretischen Liste der Notschlachtungen steht er offenbar ganz unten.

Das war natürlich Nahrung für Schlagzeilen, aber bei genauer Betrachtung wohl eher ein krachender Hilferuf. Denn der Tierpark Neumünster ist ein Verein, angewiesen auf Eintrittsgelder und Spenden. 24 Hektar misst das Gelände in Schleswig-Holstein, hundert verschiedene Tierarten wären dort normalerweise zu besichtigen, 700 Tiere, darunter Vitus, der große Eisbär. Auch Berberaffen, Abgottschlange, Japanischer Sikahirsch, Kaiserschnurrbarttamarin, Minnesota-Minischwein, Mongolische Rennmaus - alles dabei.

Die Bewohner müssen wie gehabt versorgt werden, das kostet Geld, das kostet Zeit. "Die Ausgabesituation" sei unverändert, so ein Hinweis auf der Website vom 2. April, gut zwei Woche nach der Schließung und dem ersten Spendenaufruf. "Geldspenden helfen uns dabei, den Betrieb weiterhin am Laufen zu halten." Was bisher an Landesgeldern beantragt worden sei, "ist noch nicht eingetroffen", berichtete die Zoodirektorin Kaspari in den Interviews. Ein Sprecher der Stadt Neumünster allerdings beruhigt: Geschlachtet werde niemand.

In anderen Zoos gibt es ebenfalls Sorgen und Notpläne, wenn auch kaum wegen etwaiger Schlachtungen, der Gedanke sorgt für Entsetzen. Über Unterstützung freuen sich besonders in diesen Wochen sicher die meisten Tierparks, denen wegen Corona die Besucher fernbleiben müssen. Ostern wäre einer der beliebtesten Termine im Jahr gewesen, noch dazu bei dem schönen Wetter, aber die Zoos sind zu, die Tiere allein mit ihren Pflegern. "Plötzlich so ruhig", ist auf der Homepage des Verbandes der Zoologischen Gärten e.V. zu lesen. Bereits Ende März wandte sich der Verband mit der Bitte an die Bundesregierung, 100 Millionen Euro Soforthilfe bereitzustellen. "Anders als andere Einrichtungen können wir unseren Betrieb nicht einfach runterfahren", so der Verbandspräsident Jörg Junhold, gleichzeitig Zoodirektor in Leipzig, "unsere Tiere müssen ja weiterhin gefüttert und gepflegt werden."

Corona betrifft sie alle, die kleinen und die großen Zoos. Viele Zoos zeigen ersatzweise Fotos, Videos oder Live-Bilder auf ihren Kanälen, man sieht da Mähnenrobben oder Elefanten in Münchens Tierpark Hellabrunn oder die Zooschule am Löwengraben in Hamburgs Tierpark Hagenbeck, zwei Giganten der gesperrten Branche. Die Tierärzte, Pfleger und Kuratoren seien alle im Dienst, manche im Home-Office, die Tierpfleger selbstverständlich nicht, versicherte Ende März Hellabrunns Direktor Rasem Baban auf Facebook. Es gehe den Tieren wunderbar. Wie es weitergehe, das wisse aber niemand. Vorerst ohne Zuschauer und ohne Eintrittszahler, auch für die Tiere eine ungewohnte Stille und Leere.

Es gibt hinter den Gittern und Zäunen auch gute Nachrichten, trotz allem. Im Corona-April 2020 meldet der Zooverband unter anderem die Geburt von Dresdner Zebras sowie aus Hoyerswerda 23 Tierkinder, darunter Totenkopfäffchen, Felsenhörnchen und Bennett-Kängurus. Das erinnert an noch schwerere Zeiten. Im Kriegsjahr 1943 wurde das Flusspferd Knautschke geboren, es lebte bis 1988 und war eine Berliner Legende wie später Knut, der Eisbär.

Die beste Nachricht für den Tierpark Neumünster wird dann am Donnerstagabend verkündet: Ab Montag dürfen die Zoos in Schleswig-Holstein wieder öffnen - neuer Besuch für Vitus, den großen Eisbären.

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