Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Alles Gute":Mit Mama im Disneyland

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Bevor Corona auftauchte, war Großes geplant, zum Geburtstag der Mutter. Und dann wurde es etwas richtig Großes, ein wunderbarer Ausflug, den man sonst nie gemacht hätte: in den Baumarkt.

Von Violetta Simon

Ein Familienausflug sollte es werden, zum 74. Geburtstag der Mutter. Mit beiden Töchtern, inklusive Anhang und Enkelkinder. Dann kam Corona. Die Schlösser: geschlossen. Ausflüge: ausgeschlossen. Wochenlang reiste Mutti höchstens zum Bäcker und zurück. Die Ansprüche reduzierten sich, ebenso der Bewegungsradius. "Verschoben ist nicht aufgehoben", sagten wir uns. Man telefonierte täglich. Nach sechs Wochen fanden wir, dass es nicht mehr lange dauern kann. Nach weiteren vier sprachen wir nicht mehr darüber.

Erst, als am Telefon nun das Wort "Baumarkt" fiel, kam Bewegung in die Sache. In letzter Zeit war man häufiger dort gewesen, wegen ... ja, was? Kupferstangen, Lampenkabel, Arbeitsplatten, Schraubhaken - es gab immer einen Grund, den Baumarkt aufzusuchen.

Die Mutter brauchte keinen, wollte einfach so mal wieder hin. Die Leidenschaft für Baumärkte, wie konnte man das vergessen! Eine Gemeinsamkeit von Mutter und Tochter, auch wenn nur eine von beiden etwas mit Werkzeug anzufangen weiß.

Der Balkon braucht dringend einen neuen Boden

Tags darauf folgt man der Mutter also durch die Gänge des nächstgelegenen Baumarkts, von dem man jede Ecke kennt oder besser: zu kennen glaubte (schau an, die Badezimmerabteilung verfügt über Duschkabinen!). Lampenschirme und Pinsel werden ebenso unter die Lupe genommen wie die Ecke mit dem Katzenspielzeug und andere kleine Wunder ("guck mal, Fotos auf Klodeckeln!"). Die Frau vor einem bewegt sich wie durch Disneyland. Man kommt kaum hinterher mit dem Wagen.

Tapeten, Fliesen, Lampenschirme, Bodenbelag, der monströse kugelförmige Grill aus Keramik, der an ein Dinosaurier-Ei erinnert - alles die reine Inspiration. Endlich geht es hinaus an die frische Luft: ins Gartencenter. Entzücken ruft eine kleine Biergartengarnitur hervor. Die Tochter klappt und baut Bänklein und Tischlein auf. Und? Hach, das wär was. Leider für Mutters Balkon noch immer zu groß.

Vielleicht wenigstens ein Souvenir, wenn wir schon mal hier sind? Der Balkon braucht dringend einen neuen Boden. Also wieder rein, zweites Regal rechts, wo die großen Rollen hängen. Der "nette junge Mann" schneidet 1,30 Meter Kunstrasen ab, warmes Beige.

"Was für ein schöner Ausflug!", seufzt die Mutter am Ende des Tages auf dem Balkon und lehnt sich zurück, als hätten wir eben die Weinberge der Mainschleife durchwandert oder das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth besucht. Ob man das irgendwann wiederholen könnte? Wenn's weiter nichts ist: Nächstes Mal sollte man allerdings etwas weiter hinaus ins Grüne fahren. Im Süden von München soll es einen besonders großen Baumarkt geben.

In dieser Kolumne schreiben SZ-Redakteure über die schönen, tröstlichen oder auch kuriosen kleinen Geschichten in diesen vom Coronavirus geplagten Zeiten. Alle Folgen unter sz.de/allesgute

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