Süddeutsche Zeitung

Berlin:Hemmungslos

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Ein Mann reißt die Tür seines Porsche Cayenne auf - ein Radfahrer prallt dagegen und stirbt. Über das gefährliche Verhalten von Diplomaten im Hauptstadtverkehr.

Von Verena Mayer, Berlin

In Neukölln steht jetzt ein Geisterrad, ein weiß angestrichenes Fahrrad. Es soll an den Mann erinnern, der hier entlang radelte und die Fahrt nicht überlebte. Ein 55-Jähriger war es, er stürzte Dienstagabend an der Hermannstraße über eine geöffnete Autotür. Es ist schon der zweite Fahrradtote in diesem Jahr in Berlin.

Doch für Diskussionen sorgen diesmal nicht nur die vielen unsicheren oder erst gar nicht vorhandenen Fahrradwege, die dazu führen, dass die Zahl der tödlichen Unfälle in der Hauptstadt zuletzt stark angestiegen ist. Es sind vor allem die Umstände des Todes, die Empörung hervorrufen. Der Mann stürzte, als der Fahrer eines Porsche Cayenne, der im absoluten Halteverbot stand, unvermittelt die Autotür öffnete. Der Fahrradfahrer hatte keine Chance zu bremsen, er starb im Krankenhaus. Der Porschefahrer hingegen hat wohl nicht viel zu befürchten, zumindest nicht vor einem deutschen Gericht: Er ist Diplomat im Dienste Saudi-Arabiens. Die Botschaft teilte am Freitag, zwei Tage nach dem Unfall, mit: Man habe mit "großer Bestürzung" davon erfahren und spreche den Angehörigen "tief empfundenes Beileid" aus. Und der Angestellte? Der Mann genieße Immunität, ein Strafverfahren sei daher nicht möglich, so ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft.

Immer wieder kommen Diplomaten mit dem Gesetz in Konflikt, vor einigen Jahren sorgte ein saudischer Diplomat für Schlagzeilen, als er seine Hausangestellten in sklavenähnlichen Verhältnissen ausbeutete. Und immer wieder mal ist eines der 3000 Diplomaten-Fahrzeuge in der Hauptstadt in Unfälle verwickelt, 2016 wurden ganze 22 880 Verkehrsdelikte registriert. Meist Falschparken oder überhöhte Geschwindigkeit, aber auch Unfälle mit Verletzten, und in ganzen 50 Fällen beging der Mensch am Steuer anschließend Fahrerflucht.

Der Sudan brachte es mit gerade mal zehn Fahrzeugen in Berlin auf 565 Strafzettel

Am häufigsten haben die diplomatischen Vertreter Chinas gegen die Verkehrsregeln verstoßen, gefolgt von Diplomaten aus Saudi-Arabien und Russland. Der Sudan brachte es mit gerade mal zehn Fahrzeugen in Berlin auf 565 Strafzettel. Dass die Zahlen im vergangenen Jahr etwas rückläufig waren, führt man im Auswärtigen Amt vor allem darauf zurück, dass man die Diplomaten nun darauf hinweise, sich doch bitteschön an die deutschen Verkehrsregeln zu halten.

Im aktuellen Fall kündigte das Auswärtige Amt an, das Ende der polizeilichen Ermittlungen abzuwarten, und strafrechtlich relevanten Delikten von Diplomaten jedoch konsequent nachzugehen - etwa bei Trunkenheitsfahrten, Unfallflucht oder Körperverletzung, heißt es in einer Mitteilung. Das Gesandtschaftsrecht sehe dabei verschiedene Mittel vor: Die Aufhebung der Immunität könne beantragt, Staaten dazu aufgefordert werden, eine Person abzuberufen. Ausgewiesen wurde allerdings erst einmal ein Diplomat: Der bulgarische Botschafter nämlich, der 2004 volltrunken einen Polizisten angefahren hatte.

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Quelle:
SZ vom 17.06.2017
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