Süddeutsche Zeitung

Arbeit im Gefängnis:Harte Jungs und zarte Vögelchen

Lesezeit: 3 min

Job mit Fingerspitzengefühl: Im Mailänder Gefängnis Opera züchten Schwerverbrecher Wachteln für die Spitzengastronomie.

Henning Klüver

Im Süden der lombardischen Metropole, wo der Autobahnring eine Schneise durch den eintönigen Wechsel von schmutziggrünen Wiesen und mit Industrie durchsetzten farblosen Wohnanlagen schlägt, liegt die Casa di Reclusione, die Justizvollzugsanstalt Opera.

Fast 1250 Häftlinge, meist mit längeren Strafzeiten, sitzen hier ein. In der Mailänder Haftanstalt, die von sehr hohen grauen Mauern umschlossen wird, stößt man im Hof auf ein zweites, kleineres Gefängnis, das wieder von grauen Mauern umgeben ist. Das ist der Hochsicherheitstrakt, in dem Mafiabosse wie Totò Riina ihre Strafe verbüßen. Oder die drei Häftlinge, die die Italiener von der US-Regierung aus Guantanamo übernommen haben.

Direkt unterhalb des Hochsicherheitstraktes liegt auf einer kleinen Wiese ein drittes Gefängnis, allerdings ohne graue Mauern. Es ist eine Blockhütte, und in ihr eingesperrt sind 600 junge Wachteln. Man hört sie flattern und fiepsen. Auf einem Schild kann man lesen: La Fattoria di Al Cappone (Die Al Cappone Farm). Cappone, wie der in Norditalien besonders zur Weihnachtszeit als Festtagsspeise beliebten Kapaun.

Wachteln im Knast - wegen der geringen Größe

Den Hauch von Ironie hat Emilia Patruno, eine Katholikin, die sich seit Jahren ehrenamtlich hier engagiert, in das sonst so humorlose Knastleben gebracht. Bei Mönchen in der nahen Abtei Serravalle sah die 50-Jährige, wie man hinter Klostermauern Hühner züchtet. Warum nicht auch hinter Gefängnismauern? Doch Hühner sind groß, machen viel Dreck, und der Platz in der Strafanstalt ist beschränkt. Nimm doch Wachteln, riet ihr der Tierarzt und Agrarwissenschaftler Pierluigi Colombo, der in Opera als Dozent arbeitet und Schwerverbrechern in Landwirtschaftskunde unterrichtet.

Emilia Patruno besorgte Geld von einer Bankstiftung sowie von der Region Lombardei, Pierluigi Colombo kümmerte sich um das Know-how. Und so ist aus ersten Anfängen vom Sommer 2008 an eine kleine Farm hinter Knastmauern gewachsen. Heute züchten Gefangene hier Wachteln, ziehen Pflanzen mit giftgrünen und knallroten Peperoncini in zwei Gewächshäusern heran und produzieren neuerdings sogar Konfitüren. Als Betriebsform wurde eine Kooperative gegründet, bei der einige Häftlinge angestellt sind. "Im Gefängnis", sagt Emilia Patruno, gibt es viele Talente, "sie sind nur gut versteckt".

Suche nach Talenten von Häftlingen

Eines von diesen Talenten ist Ivan. Er hat so dicke tätowierte Muskelpakete an den Oberarmen, dass man meint, er müsste das Federvieh zerdrücken, wenn er eine von den Wachteln nur in die Hand nimmt. Doch die fühlen sich in seinen Pranken offensichtlich wohl, strecken das Köpfchen heraus, gucken neugierig mit ihren Knopfaugen umher.

Zusammen mit seinen Kollegen füttert Ivan die Tiere, säubert den Laufstall und sorgt sich um die Brutanlage. Vor allem aber sammelt er die Eier ein, die über die leicht schräge Lauffläche in einen Behälter am Gitterrand rollen. Und sortiert sie im Dutzend in durchsichtige Kunststoffkästen ein. Kleine braun oder schwarz gesprenkelte Eier, die wegen eines geringen Cholesteringehalts und verschiedener therapeutischer Wirkungen geschätzt werden. Vor allem aber ihr zarter Geschmack macht sie zur Delikatesse.

An die 800 Eier, "garantiert Bio", sagt Tierarzt Pierluigi Colombo, kommen so am Tag hinter Knastmauern zusammen. Mit denen beliefert die Kooperative Supermärkte und Catering-Unternehmen im Mailänder Raum. Auf den Packungen steht groß zu lesen, dass sie von der Fattoria di Al Cappone aus der Vollzugsanstalt Opera kommen. Draußen soll man wissen, wo sie herkommen. Und für die Häftlinge ist das eine Art Weg nach draußen.

Einen Teil - wie auch von den Peperoncini - verkauft man direkt im Gefängnis, die meisten Gefangenen können sich die Ausgabe leisten. Viele von ihnen (mit Ausnahme der Mafiosi im Hochsicherheitstrakt) arbeiten bei Privatbetrieben, die im Gefängnis eine Produktionsstätte eingerichtet haben: Sie backen Brötchen für Schulmensen, stellen Eis her, entwickeln Computerprogramme.

Bezahlung nach Tarif

Dafür werden sie - wie die Wachtelpfleger - fest angestellt und nach Tarif bezahlt. So will es das italienische Gesetz. Den Unternehmern werden die Räume kostenlos zur Verfügungen gestellt, sie erhalten steuerliche Vorteile und müssten sich, wie der Gefängnisdirektor lächelnd sagt, keine Sorgen um die Sicherheit ihrer Anlagen machen.

Ein Inspektor der Gefängnispolizei achtet streng darauf, dass man mit den Gefangenen nicht spricht. Auskunft dürften nur die Chefs von Al Cappone geben. Emilia Patruno, die dem Inspektor giftige Blicke zuwirft ("Was der nur wieder hat . . ."), weiß von der positiven Wirkung auf die Insassen zu berichten, wenn sie mit Lebewesen und Pflanzen arbeiten und so "eine Beziehung zur natürlichen Umwelt" entwickeln. Für den täglichen Auslauf bleibt ihnen sonst nur der kleine Betonhof. Auch würden Eigenverantwortlichkeit und Selbstbewusstsein gestärkt. Vielleicht werde auch ein Tor für einen zukünftigen Beruf geöffnet, sagt Pierluigi Colombo.

Schon hat Emilia Patruno neue Pläne. In fünf Jahren findet in Mailand die Expo 2015 statt. Die Weltausstellung hat sich zum Thema den nachhaltigen Umgang mit Landschaft und Nahrungsmitteln gesetzt. Mit einigen Häftlingen will die Helferin jetzt die Vitelotte, die aus Peru stammende lila Kartoffel züchten, um ihren nussartigen Geschmack noch zu verfeinern. Und wenn die Expo die Kartoffel aus Opera dann als Symbol anerkennen würde, das wäre doch toll, oder?

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.52730
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.01.2010
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.