Süddeutsche Zeitung

Stilkritik "Merkel-Faust":Zwei Fäuste für ein Halleluja

Eigentlich will die Bundeskanzlerin ja bloß vernünftig sein in Zeiten der Infektionsgefahr. Trotzdem scheitert sie immer wieder mit ihrem Faustgruß. Was ist da los?

Von Moritz Geier

In dieser Woche hat sie mal wieder voll zugeschlagen, die Merkel-Faust. Zielsicher flog sie durch die Berliner Novemberluft, zertrümmerte das Hofzeremoniell und blieb dann unbeirrt hängen vor der sich nähernden Margrethe II., die zum Staatsbesuch gekommen war. Die dänische Königin stutzte, zog ihre zur Begrüßung ausgestreckte Hand zurück und legte sie pikiert auf die Brust. Klassischer Knock-out in der ersten Runde.

Aber keine Angst, Margrethe wird das verkraften. Und Angela Merkel natürlich auch. Wandel, gerade auf dem konservativen Feld der Etikette, ist nun mal ein zäher Prozess, bei dem progressiv-revolutionäre Erneuerer wie die Bundeskanzlerin die Beharrungskräfte der Tradition zu spüren bekommen. Schön zu beobachten war das kürzlich auch bei dem Tanz, den die umarmungsfreudige Ursula von der Leyen bei Merkels Abschied vom Europaparlament um die erbarmungslos dahingestreckte Ghetto-Faust der Kanzlerin aufführte.

Anders als die weder verwandte noch verschwägerte Becker-Faust ist die sogenannte Merkel-Faust ein Zeichen der Vernunft, man will sich ja nicht anstecken. Vorsicht nur bei der Übersetzung des oft synonym verwendeten Begriffes fist bump. Im Sinne der Völkerverständigung kritisch zu hinterfragen ist etwa ein Versuch der Hamburger Morgenpost. Die lockte interessierte Leser vor einigen Monaten mit dem Clickbait-Cliffhanger "So verabschiedete sich Ex-HSV-Trainer Daniel Thioune von der Mannschaft" auf einen Online-Artikel, an dessen Ende die schockierende Nachricht wartete, der gefeuerte Trainer habe sich bei jedem HSV-Profi "persönlich mit einem Faustschlag" verabschiedet.

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