Süddeutsche Zeitung

Energie und Kosten:"Wir stehen am Anfang einer Lawine"

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Geschäftsführer Walter Huber und Vertriebsleiter Michael Betzl von den Tölzer Stadtwerken äußern sich zu hohen Strompreisen, Neukunden, die von Billiganbietern kommen, und der Entwicklung auf dem Energiemarkt.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Die Strompreise auf dem Energiemarkt sind explosionsartig gestiegen, etliche Billiganbieter haben deshalb ihren Kunden gekündigt, die sich nun einen anderen Grundversorger suchen müssen. Wie die Tölzer Stadtwerke als kommunales Tochterunternehmen darauf reagieren und worauf sich ihre Kunden nun einstellen müssen, erklären Geschäftsführer Walter Huber und Vertriebsleiter Michael Betzl.

SZ: Dieser Tage bekommen die Kunden der Tölzer Stadtwerke die Jahresabrechnung für den Stromverbrauch 2021. Müssen Sie wegen der enorm gestiegenen Energiepreise mit einer bösen Überraschung rechnen, sprich: einer hohen Nachzahlung?

Walter Huber: Nein. Denn der Preis, der die Basis für die Abschlagszahlungen war, ist für 2021 nicht geändert worden. Mit einer Nach- oder Rückzahlung müssen nur Kunden rechnen, bei denen sich der Verbrauch geändert hat. Mit Homeoffice und Co. in der Corona-Pandemie gibt es eventuell einen höheren Verbrauch, das waren bei mir selbst auch ein paar Kilowattstunden mehr.

Viele Billigstrom-Anbieter wie stromio oder gas.de haben ihren Kunden gekündigt, die sich nun einen neuen Energieversorger suchen müssen. Wie viele von ihnen stehen denn jetzt Schlange bei den Stadtwerken?

Huber: Ja, das stimmt, aber die Schlange ist überschaubar.

Michael Betzl: Stand Ende 2021 sind es 240 Stromkunden und 120 Gaskunden, die wir von Billiganbietern in die Ersatzversorgung aufnehmen. Das verursacht im schlimmsten Fall Mehrkosten bis zu einer Viertelmillion Euro, diese Energiemenge hatten wir ja nicht eingekauft und müssen diese Menge nun zum aktuellen, teuren Tagespreis nachkaufen. Mit unserer langfristigen Beschaffungsstrategie halten wir aber derzeit die Strom- und Gaspreise auf dem bisherigen Niveau.

Müssen die Bestandskunden der Stadtwerke nun mehr zahlen? Oder bekommen die Neukunden teurere Verträge?

Betzl: In Nordrhein-Westfalen wollen das einige Stadtwerke so machen, aber dieses Splitting ist juristisch sehr umstritten. Bei uns wird voraussichtlich die Ausschüttung an die Stadt Bad Tölz geringer sein, wenn wir den Strompreis nicht erhöhen.

Huber: Wir stehen am Anfang einer Lawine, die an Fahrt aufnimmt. Wenn sich die Situation nicht beruhigt, werden diese Ausschüttungen geringer ausfallen, gegebenenfalls ist auch ein Defizitbetrag in dieser Sparte möglich. Momentan sind wir noch breit genug aufgestellt, um dies mittelfristig abzufangen. Große, energieintensive Unternehmen in der freien Wirtschaft trifft diese Problematik noch viel tiefer. Bei diesen könnten hohe Energiepreise sogar zu einem Liquiditätsproblem führen, bis hin zur Insolvenz.

Die Tölzer Stadtwerke erhöhen den Arbeitspreis bei Strom dieses Jahr von 28,10 auf 29,80 Cent pro Kilowattstunde. Dabei sinkt die EEG-Umlage um die Hälfte ...

Betzl: Wir kaufen für unsere Tarifkunden den Strom über mehrere Jahre ein, um eben Preisschwankungen zu glätten. Ende letzten Jahres war dieser Preisanstieg enorm. Dass wir trotzdem den Arbeitspreis erhöhen mussten, liegt daran, dass die Energiekosten höher gestiegen sind, als die Senkung der EEG-Umlage ausgemacht hat.

Hat es eine solche Explosion der Energiepreise schon gegeben?

Huber: Nein, in dieser Höhe seit Bestehen der Bundesrepublik nicht.

Betzl: Der Strompreis an der Börse EEX für das Jahr 2022 stieg von 70 Euro im Mai auf über 300 Euro pro Megawattstunde am Jahresende, das ist schon ein extremer Anstieg.

Huber: Das tut noch nicht weh, weil wir eine nachhaltige Beschaffungsstrategie zum Wohl unserer Tarifkunden verfolgen. Wir beschaffen langfristig, nicht zu einem festen Zeitpunkt.

Energie-Discounter verfolgen eine andere Strategie ...

Betzl: Viele Billiganbieter spekulieren auf niedrige Preise und kaufen Strom zu einem bestimmten Zeitpunkt ein. Wenn sie nun aber durch die Entwicklung auf dem Markt bei hohen Preisen einkaufen müssen, kommen sie wegen ihrer günstigen Verträge in Schwierigkeiten und können nicht liefern. Dann steigen sie aus dem Geschäft aus, und schieben ihre Risiken auf uns Grundversorger ab. Die Regulierung der Energiemärkte nach derzeitigem Energierecht führt dazu, dass Billiganbieter ihren Gewinn auf Kosten der Kunden machen und das wirtschaftliche Risiko auf uns abwälzen.

Worauf müssen sich die Kunden der Tölzer Stadtwerke einstellen, wenn das mit den Energiepreisen so weitergeht wie im zweiten Halbjahr 2021?

Huber: Mit unseren Preisen wird sich wegen des langfristigen Einkaufs zunächst nur wenig bewegen. Aber wenn es so weitergeht, werden wir unsere Kalkulationen nochmals aktualisieren müssen. Und wenn politische Spannungen zu Lasten der Energieversorgung ausgetragen werden, kommt noch das Problem hinzu, die in Deutschland erforderliche Energiemenge überhaupt beschaffen zu können.

Betzl: Für 2022 haben wir bislang stabile Preise. Aber die Politik muss sich schon etwas einfallen lassen, damit die Haushalte Unterstützung bekommen.

Was raten Sie Ihren Kunden?

Huber: Ich rate jedem, auf die Stromabschläge und den Gasverbrauch in seiner Nebenkostenabrechnung zu achten. Bei jeder Rechnung gilt: Jede nicht verbrauchte Kilowattstunde ist unterm Strich die beste Kilowattstunde.

Wie werden sich die Energiepreise für die Stadtwerke-Kunden denn nach 2022 entwickeln?

Betzl: Das hängt im Wesentlichen von der Entwicklung der Energiebörsen und politischen Maßnahmen ab. Für 2023 rechnen wir derzeit noch mit einer moderaten Erhöhung der Energiepreise für unsere Kunden ...

Huber: ... für 2024 können wir trotz des Langfristeinkaufs keine fixe Prognose mehr abgeben.

Der Strom der Tölzer Stadtwerke ist zu 100 Prozent Öko-Strom, das Gas ist CO₂-neutral. Die neue Bundesregierung will den Anteil erneuerbarer Energien am Strom bis zum Jahr 2030 auf 80 Prozent anheben - wobei sich der Verbrauch bis dahin nochmals um 20 bis 30 Prozent erhöhen dürfte. Ist dieses Ziel denn realistisch?

Huber: Ich sehe es ähnlich wie Hermann Scheer (SPD-Bundestagsgeordneter und Vorkämpfer der Energiewende, Anm. d. Red.). Die Mehrkosten der erneuerbaren Energien von heute sind niedrige Energiekosten von morgen. Die Energiewende ist sinnvoll, sie bringt mittelfristig Preisvorteile, und das Geld bleibt hier. Wenn man aus Atomkraft und Kohle aussteigt, muss man aber auch Anlagen bauen, die Energie erzeugen. Eine Steckdose allein wird nicht reichen.

Das heißt, auch in Bayern müssen mehr Windräder stehen ...

Huber: Die 10 H-Regelung (Windkraftanlagen dürfen nur in einem Abstand des Zehnfachen ihrer Höhe zu Ortschaften gebaut werden, Anm. d. Red.) soll wegfallen, da muss man dann schon durch. Waschen, ohne nass zu machen - das geht halt nicht. Aber der Abschaffung der 10 H-Regelung steht noch der Regionalplan Oberland und der Widerstand der Bevölkerung gegenüber. Man muss die neuen Rahmenbedingungen sehen, es braucht eine neue Sichtweise aller. Wir werden künftig einige Kompromisse für eine (über-)lebenswerte Zukunft unserer nachfolgenden Generationen eingehen müssen.

Soll auch das einst umstrittene Pumpspeicherkraftwerk am Jochberg wieder auf die Tagesordnung kommen?

Huber: Ein Pumpspeicherwerk erzeugt keine Energie, es speichert volatile Energie. Pläne hierfür liegen in der Schublade. Wenn wir die sogenannte Energiewende wollen, brauchen wir Speicher. Daran führt kein Weg vorbei, das sieht auch die Staatsregierung so.

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Quelle:
SZ vom 22.01.2022
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