Süddeutsche Zeitung

Ortsgestaltung:Bruck-Bräu, Wetterwarte und Bausünden

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Auf einem Rundgang erklären Claus Janßen vom Historischen Verein und Stadtarchivar Sebastian Lindmeyr rund 50 Teilnehmern die Bäderarchitektur im Tölzer Kurviertel.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Claus Janßen steht vor der ältesten Kurpension im Tölzer Badeteil, die sich schräg gegenüber vom Gästehaus Rosl an der Ludwigspromenade befindet. Gerade hat der Vorsitzende des Historischen Vereins für das bayerische Oberland in Bad Tölz erzählt, dass dieses Haus mit dem alten Blumengeschäft im Jahr 1853 von Balthasar Floßmann gebaut wurde. Er skizziert die Landschaft ringsum, die nur aus Wiesen und Weiden bestand, wo auch die Pferde der Tölzer Brauereien grasten. Da platzt Janßen auf einmal doch kurz der Kragen. Die neue Gasdruckausgleichsanlage vorne an der Schützenstraße vor der evangelischen Kirche, sagt er, die sei nun wirklich scheußlich. "Das finde ich sehr bedauerlich."

Fast zwei Stunden lang hatte Janßen zusammen mit Stadtarchivar Sebastian Lindmeyr am Freitagnachmittag rund 50 Teilnehmer eines Spaziergangs zum Thema Bäderarchitektur durch das Badeteil geführt. Dazu hatte die Stadt eingeladen, die schon seit Monaten untersuchen lässt, ob und wo das Viertel westlich der Isar womöglich als Sanierungsgebiet deklariert werden soll. Mit der Forschungsarbeit wurde das Fachplanungsbüro "Die Stadtentwickler" aus Kaufbeuren beauftragt, das mit dem Stadtbauamt strukturelle und funktionelle Defizite des Badeteils, sprich: alle städtebaulichen Missstände erfassen soll. Dabei spielen auch der touristische und der gesellschaftliche Wandel eine Rolle. Auf Basis dieses Ergebnisses kann der Stadtrat dann ein großes oder auch mehrere kleine Sanierungsgebiete festlegen, um Mängel zu beheben und Fördertöpfe für entsprechende Maßnahmen anzuzapfen.

Zu den vorbereitenden Untersuchungen gehört nicht zuletzt der Blick in die Geschichte. Das historische Material, das Janßen und Lindmeyr zusammengetragen haben, sei "so gut, das muss man nochmals vermitteln", begründete Stadtplanerin Annegret Michler vom Kaufbeurer Fachbüro den Rundgang. "Wenn man zurückblickt, kann man vielleicht besser verstehen, wieso eine Parkanlage gerade da entstand, warum es immer wieder Brüche gab." Für Stadtbaumeister Florian Ernst kommt es darauf an, im Badeteil mit dem Thema Gestaltung "sehr sensibel umzugehen". Die Wohnbebauung in unmittelbarer Nähe des Solitärs Wandelhalle dürfe zum Beispiel den Blickachsen nicht schaden.

Die Tour bei windig-kaltem Wetter startete nicht im Kurviertel, sondern vor dem Haus Marktstraße 11. Das war am 1. 7. 1857 von Karl Herder, Gründer der Jodquellen AG, gekauft worden - als Badehaus. Damals seien die Tölzer noch auf den Markt fixiert gewesen, berichtete Lindmeyr. "Sie waren indifferent, wie man mit dem umgehen soll, was jenseits der Isar entsteht."

Dort gab es gleich hinter der Isarbrücke die ersten Bierkeller von Bad Tölz. Um 1600 sei die erste Brauerei - der Bruck-Bräu - nachweisbar, erklärte Janßen. In dem Gebäude befindet sich heute das Kino am Amortplatz. Mit Blick auf die Königsdorfer Straße erzählte er, dass die bayerischen Herzöge Ernst und Albrecht über eine Stiftung um 1500 dort für Unterkünfte gesorgt hätten. Auf gleich großen Parzellen entstanden die Häuser, dahinter kleine Gärten. "Es war eine Art Wohnbauprogramm", so Janßen. Ganz am Ende befand sich das Leprosenhaus, ungefähr dort, wo heute die Engstelle der Straße ist. Dort wurden Leute mit ansteckenden Krankheiten in Quarantäne gesteckt. Und ganz in der Nähe hatte auch der Abdecker sein Quartier. Für Michler bildet der Amortplatz mit dem Kino-Gebäude "ein Scharnier" zwischen Badeteil und Marktstraße.

An der Franziskanerkirche, die zwischen 1733 und 1735 gebaut wurde, gab es bis 1915 einen Friedhof, der sich westlich bis zur späteren Wetterwarte erstreckte, in der sich gegenwärtig eine Urologen-Praxis befindet. Weil mit der wachsenden Kur die kleine Straße in das zunächst Bad Krankenheil genannte Bäderviertel zu eng wurde, gestaltete man dieses Entrée völlig um. Die Kirche, in der mangels Priestern seit Kurzem keine Messen mehr gefeiert werden, sei "städtebaulich von großer Bedeutung", sagte Janßen. "Von der Marktstraße, vom Kalvarienberg und vom Badeteil sieht man sie schön dastehen." Über die ehemaligen Klostergärten führte der Spaziergang weiter zum Max-Hoefler-Platz, wo Lindmeyr unter anderem berichtete, dass in den 1920er Jahren die Klimakur angesagt war - weshalb die Wetterwarte gebaut wurde.

Am Vichyplatz verwies Janßen auf die Gewerbehalle, die 1928 nach den Plänen des Münchner Architekten Theodor Fischer errichtet wurde. Dort durfte nur eine Verkaufsgenossenschaft ihre Waren anbieten, weil die Ladeninhaber im Markt keine Konkurrenz im Badeteil haben wollten. Erst seit 15 Jahren beherbergt das Gebäude den Kleinen Kursaal. Max Kehmer vom Kaufbeurer Fachbüro bedauerte, dass das Parkhotel "leider so nicht mehr existiert". "Da ist leider eine große Wunde gerissen worden." Die Häuser für das Seniorenwohnen am Park und das BSW-Hotel passten sich nicht in den ursprünglichen Bestand ein. Für Michler ist es auf jeden Fall eine Überlegung wert, den Vichyplatz als wirklichen Platz zu gestalten. Und die Gewerbehalle sei damals "ein super Idee" gewesen, die man wieder aufgreifen sollte.

Vor der Wandelhalle kritisierte sie vor allem den Umgang mit dem Bau-Bestand. Durch die neuen Häuser sei ein störendes Wechselspiel von Hoch und Niedrig entstanden, sagte sie. Die Aus- und Durchblicke aufs Grün sollte man nicht zerstören. Außerdem plädierte sie dafür, die Baumalleen und Vorgartenzonen zu erhalten.

Am Ende hatten die Teilnehmer des Rundgangs noch die Gelegenheit, ihre Vorschläge auf Postkarten zu schreiben und an Stellwände zu pinnen. Die vorbereitenden Untersuchungen zum Sanierungsgebiet Badeteil sollen im Frühjahr abgeschlossen werden. Danach gibt es eine Bürgerbeteiligung, ähnlich wie bei der Umgestaltung des Altstadtteils Im Gries. Im Sommer muss dann der neu gewählte Stadtrat darüber befinden, ob ein Sanierungsgebiet festgelegt werden soll oder nicht.

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SZ vom 18.02.2020
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