Süddeutsche Zeitung

Natur- und Klimaschutz:Nass und wertvoll

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Seit 30 Jahren werden im Landkreis Moore renaturiert, die als Ökosysteme und Kohlenstoff-Speicher erhalten bleiben sollen. Das gelingt nur Schritt für Schritt.

Von Veronika Ellecosta, Bad Tölz-Wolfratshausen

Da wäre zum Beispiel der Sonnentau, man kennt ihn aus der Fleischfresser-Ecke im Pflanzenmarkt. In der heimischen Natur gedeiht er ausschließlich im Hochmoor: Die knapp über dem Boden wachsende Pflanze stellt Klebefallen für ahnungslose Insekten. Diese halten die klebrigen Tröpfchen an der Blattrosette für Morgentau, wollen ihn trinken - und verenden im sich schließenden Blatt. Dort werden sie aufgelöst und verdaut, die Nährstoffe wandern in Blatt und Wurzeln.

Dass sich der äußerst seltene Sonnentau seine Nährstoffe aus Insekten holt, liegt daran, dass das Hochmoor ihm diese nicht anderweitig bieten kann. Denn Hochmoore füllen ihre Wasserspeicher einzig aus Regen, der wiederum den Boden auswäscht. Nährstoffarme Substanz bleibt zurück.

3042 Hektar Hochmoore gibt es im Landkreis, davon sind etwa 2000 Hektar auch als Moorlebensraum noch erkennbar. Die verbleibenden Hektar sind zu stark landwirtschaftlich genutzt, dass man abgesehen vom Boden nicht mehr von Moor sprechen kann. Addiert mit 5733 Hektar Niedermooren, die durch Grundwasser gespeist und von denen wiederum ebenfalls noch 2000 Hektar als Moorlebensraum gelten, ergibt das knapp neun Prozent der Landkreisfläche. Dass Moore nicht nur seltene Arten und Lebensräume bewahren, sondern auch noch Wasser und Kohlenstoff binden und daher eine bedeutende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen, hat mittlerweile auch die Europäische Union erkannt: Im jüngst vom EU-Parlament beschlossenen Renaturierungsgesetz soll ein Fünftel der Unionsfläche bis 2030 wieder in natürlichen Zustand gebracht werden. Einen besonderen Fokus legt das Gesetz dabei auf Moorgebiete.

550 Hektar wurden bisher saniert

Nicht nur die Europäische Union stellt bei den Naturflächen im gesamten Kontinent mehr Handlungsbedarf fest. Elisabeth Pleyl, Moormanagerin beim Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen, stimmt dem Urteil zu: Besonders die Niedermoore im Landkreis befänden sich heute überwiegend in einem schlechten Zustand, sagt sie. "Bei Biotopen, die kartiert und geschützt sind, findet man auch sehr schöne und wertvolle Flächen", sagt Pleyl. "Mein Respekt gilt da auch den Bauern, die teilweise heute noch naturnahe Flächen pflegen und erhalten. Großflächig geht's den Mooren aber nicht gut." Verglichen mit anderen nördlicheren Landkreisen, wo die Moore stärker als Produktionsstandort herhalten und mit weniger Niederschlag auskommen müssten, seien die hiesigen Moore aber immer noch in einem deutlich besseren Zustand.

Dass die Moore austrocknen, habe der Mensch verschuldet, als er sie im frühen 20. Jahrhundert entwässerte, um die Flächen land- und holzwirtschaftlich zu nutzen und Torf als Brenn- und Baumaterial abzubauen, erklärt Pleyl. Doch auch als sich Torf- und Landwirtschaft im Moor nicht mehr rentierten, seien die Entwässerungsgräben nicht geschlossen worden, man habe die Moore sich selbst überlassen. "Moore können sich nicht von selbst erholen", sagt Pleyl. Die zunehmende Erwärmung des Planeten trocknet den Boden zusätzlich aus, Bakterien fressen den Torf und geben ihn in Form von Kohlenstoffdioxid an die Luft frei. Vom Klimaschützer wird das Moor dann zur zusätzlichen CO2-Belastung.

1992 begannen erste Pioniere, große Grundbesitzer im Landkreis und das Zentrum für Umwelt und Kultur im Kloster Benediktbeuern (ZUK), Gräben mit Querriegeln zu verschließen und die ersten Moore wieder zu vernässen. 2003 formierte sich der Arbeitskreis Tölzer Moorachse aus Landesbund für Vogelschutz, Bund Naturschutz, Vertretern des Bauernverbandes, der Unteren und Höheren Naturschutzbehörde und dem Landrat. Das Ergebnis von dreißig Jahren Renaturierungsarbeit sei in Summe allerdings zu wenig, sagt Pleyl: 57 Hektar Moore wurden bisher vom Landkreis renaturiert, gut 20 Hektar durch den Forstbetrieb Bad Tölz. 143 Hektar vernässte der LBV, 30 der BN. Hinzu kommen 240 Hektar Moore, die das ZUK bearbeitete und 60 Hektar sanierte Moore von Privateigentümern. Von den 9886 Hektar Moorfläche des Landkreises wurden in Summe bis heute auf 550 Hektar Sanierungsmaßnahmen durchgeführt.

Herausforderungen für die Renaturierung im Landkreis ergäben sich vor allem dadurch, dass viele Privateigentümer kleinteilige Moorflächen besitzen, sagt Pleyl. Hochmoorflächen sind für die Landwirtschaft Unland, weil der nasse, nährstoffarme und saure Boden kaum genutzt werden kann. Viele Hochmoore sind außerdem schon Biotope, deren Zustand nicht verändert werden darf. Pleyl muss Eigentümer überzeugen, diese Moore zur Vernässung zur Verfügung zu stellen, entweder über Verpachtung oder direkt über Verkauf. "Aber der Preisspiegel ist natürlich nicht hoch." Etwa drei Viertel der privaten Eigentümer überlassen Pleyl zufolge den Projektträgern ihre Flächen für Moorprojekte.

Bei der Renaturierung ergeben sich einige Herausforderungen

Zwar betont auch der Freistaat in diversen Erklärungen und Förderprogrammen die Wichtigkeit von Vernässungsprojekten: Seit 2021 fördert er Moorschutz im Rahmen de r Offensive Klimaland Bayern, einem der größten Renaturierungsprogramme in Deutschland. 2008 bis 2020 finanzierte er zudem über das Klimaprogramm Bayern 2050 die Maßnahmen im Landkreis. Aber es gibt Hürden, wie Pleyl erklärt: Niedermoor, das hierzulande meist als Futtergrünland genutzt wird, ist oft kleinteilig. Für Verwässerungsmaßnahmen müssten aber große zusammenhängende Flächen zur Verfügung stehen. Landwirtschaftliche Betriebe arbeiten zudem über Generationen: Kurzzeitige und einmalige Förderungen für Moorprojekte würden daher bei landwirtschaftlich genutzten Mooren zu kurz greifen.

Vor allem im Bereich der Niedermoore ließe sich für den Moorschutz noch viel tun, sagt Pleyl: Sie wünsche sich von Flächeneigentümern Pioniergeist, um mehr Flächen für Modellprojekte zur Verfügung zu stellen, die landwirtschaftliche Nutzung und Moorerhalt in Einklang zu bringen versuchen. Weil sich Moorboden im Laufe der Zeit zunehmend zersetzt und am Ende nur noch wasserundurchlässiger Unterboden übrig bleibt, würde er sich für die Landwirtschaft ohnehin langfristig nicht mehr eignen.

Aber auch kleinere Restflächen von wenigen 100 Quadratmetern ließen sich Pleyl zufolge naturnäher entwickeln. "Es hilft vielen seltenen Pflanzen- und Tierarten, wo weniger gedüngt und weniger häufig gemäht wird und Vernässungen, die sich im Lauf der Zeit einstellen, geduldet werden." Von Eigentümern von naturnahen Mooren erhoffe sie, dass diese ihre Flächen zur Renaturierung freigeben, um die Hochmoore zu retten. Und damit auch seltene Pflanzen wie den Sonnentau.

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