Süddeutsche Zeitung

Leben in Bad Tölz-Wolfratshausen:Altersarmut trotz Vollzeitarbeit

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Gewerkschaft fordert Stärkung der gesetzlichen Rente

Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen sind rund 3100 Vollzeitbeschäftigte selbst nach 45 Arbeitsjahren im Rentenalter von Armut bedroht. Davor warnt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) unter Berufung auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung. Demnach verdienten 13,1 Prozent aller Beschäftigten, die im Landkreis in Vollzeit arbeiten, weniger als 2050 Euro brutto im Monat, heißt es in einer Mitteilung der NGG. "Rein rechnerisch müssten sie sogar mehr als 45 Jahre lang arbeiten, um auf eine Rente oberhalb der Grundsicherungsschwelle von aktuell 835 Euro zu kommen." Altersarmut sei daher "kein Schreckensszenario in der Zukunft, sondern für viele Menschen längst Realität". Die Rente derer, die etwa jahrzehntelang in einer Bäckerei oder Gaststätten gearbeitet hätten, reiche schon heute oft nicht aus.

"Rentenkürzungen oder Forderungen über ein späteres Eintrittsalter sind der falsche Weg. Stattdessen muss die Politik die gesetzliche Rente stärken", fordert Manuel Halbmeier, Geschäftsführer der NGG-Region Rosenheim-Oberbayern. Das Rentenniveau dürfe nicht weiter absinken. Seit dem Jahr 2000 sei es bereits von rund 53 Prozent auf aktuell 48 Prozent abgesenkt worden. "Konkret bedeutet das, dass Geringverdiener mit einem Einkommen von weniger als 2050 Euro brutto im Monat statt 42 nun fast 46 Jahre lang arbeiten müssen, um überhaupt noch die Grundsicherungsschwelle im Alter zu erreichen. Aber vier Jahre länger an der Bäckereitheke, in der Lebensmittelfabrik oder im Schlachthof am Band zu stehen, ist vielen Beschäftigten gesundheitlich gar nicht möglich", erklärt Halbmeier und betont: "Jede Anhebung des Renteneintrittsalters ist somit faktisch eine Rentenkürzung." Die nächste Bundesregierung müsse das Rentenniveau stabilisieren und perspektivisch anheben, um einen weiteren Anstieg der Altersarmut zu verhindern. Die von Wirtschaftsverbänden geforderte Rente mit 70 sei der falsche Weg - und ein "Schlag ins Gesicht der Menschen, die körperlich arbeiten und schon bis 67 nicht durchhalten können". Deshalb sei es wichtig, dass die Beschäftigten ihre Stimme bei der Bundestagswahl abgeben - und sich informierten, was die Rentenkonzepte der Parteien für sie bedeuteten. Zugleich seien die Unternehmen in der Pflicht, prekäre Beschäftigung zurückzufahren und Tarifverträge zu stärken. Gerade im Hotel- und Gaststättengewerbe gebe es enormen Nachholbedarf, um die Einkommen wirklich armutsfest zu machen - auch weil viele Firmen aus der Tarifbindung flüchteten.

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SZ vom 15.09.2021 / aip
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