Süddeutsche Zeitung

Dreharbeiten in Benediktbeuern:Kunst und Krempel im Kloster

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Drei Tage lang nimmt der Bayerische Rundfunk den Barocksaal und andere Räume für eine Folge seiner Fernsehreihe in Beschlag. Bürgermeister Anton Ortlieb schafft es mit einer Schwarzen Madonna sogar bis vor die Kamera.

Von Wolfgang Schäl, Benediktbeuern

Das ist der Stoff, aus dem die Tagträume sind: Jahrelang hat da jemand den Dachboden seines Hauses wohlweislich gemieden, ist ja eh schon alles vergammelt und verstaubt da oben. Aber irgendwann muss dort auch mal gestöbert werden. Und jetzt plötzlich die freudige Ahnung: Ein alter Ölschinken, ein Flohmarktschnäppchen, das längst in Vergessenheit geraten war, könnte doch ein unerkannter alter Meister sein. Man muss nur ein wenig hoffen, sich mal bei Fachleuten erkundigen, ob es sich lohnt, das Objekt der Begierde noch weiter in der Kombischrank-Vitrine aufzuheben und eine Nachkommenschaft damit zu beglücken, die womöglich nur die Nase rümpft über den gusseisernen Weinheber und den Knabberbrezenständer in Katzenform. Besser wäre da schon ein Portraitbild von Hans Holbein dem Älteren, das auf dem Kunstmarkt um die 16 Millionen Euro bringen würde. Wie gesagt: Tagträume.

"Religiöse Volkskunst" - so lautet der Schwerpunkt der Dreharbeiten

Die Ungewissheit über den Wert von Dingen, die uns umgeben, beschäftigt die Menschen seit jeher, allemal aber seit vier Jahrzehnten. So lange schon sendet das Bayerische Fernsehen erfolgreich das Format "Kunst+Krempel", heuer zum zweiten Mal in Benediktbeuern, wo die dreitägigen Dreharbeiten am Sonntag mit den Schwerpunkt "Religiöse Volkskunst" zu Ende gegangen sind. Die Räumlichkeiten des Klosters bieten dafür ideale Voraussetzungen. Zumal da der traumhaft schöne, im hellen Licht der Scheinwerfer erstrahlende Barocksaal einen wundervollen Rahmen für die einzelnen Interviews der beiden Experten bietet.

Das Interesse der kunstsinnigen Menschen aus der Umgebung war riesig. Schon sehr früh musste der BR die Bewerberliste abschließen, viele der 700 Aspiranten, die ihre Flohmarktschätzchen angemeldet hatten, kamen nicht zum Zug. Andere Objekte, die man gern gesehen hätte, so einen im Ausstellungsverzeichnis nicht näher erläuterten Klapp-Altar, fielen wiederum aus. Bis vor die Kamera schaffte es der Benediktbeurer Bürgermeister Anton Ortlieb mit einer hübschen, kunstvollen Schwarzen Madonna, die er in einem perfekt passenden Schuhkarton mitgebracht hatte. Das kleine Objekt wurde begutachtet und auf 200 Euro taxiert. Es wird nun im Besitz der Familie des Bürgermeisters bleiben. Die ideelle Bedeutung ist denn doch größer als der ziemlich überschaubare Schätzwert.

Auf drei Tage waren die Aufnahme-Arbeiten am vergangenen Wochenende konzipiert, und in den einzelnen Geschossen des Klosters ging es mit mehr als 30 Mitarbeitenden des BR und der Produktionsfirma Bavaria hoch her: massenhaft Kabelstränge , Kameras, Bildschirme und elektronische Gerätschaften, Menschen, die mit jeweils besonderen Aufgaben durch die Gänge eilten und denen man besser nicht in die Quere kommen sollte.

Ein für Außenstehende schwer zu durchschauendes Gewusel, das aber einer offenkundig funktionierenden, unsichtbaren Routine folgte. Als Vertreter eines Printmediums fühlt man in dieser gut geölten Maschinerie ziemlich entbehrlich, bekommt vom Personal allerdings immer freundlich Auskunft, die dann aber irgendwie doch nicht oder nur halb stimmt. Und man muss höllisch aufpassen, dass man nicht über eines der tausend Kabel stolpert oder sich räuspert, wenn die Kamera läuft.

Letzteres geht gar nicht, vor allem wenn die beiden Experten für religiöse Volkskunst, Frank Matthias Kammel vom Bayerischen Nationalmuseum in München und die Kunsthistorikerin Alexandra Ulrich, ihre Einschätzungen abgeben. Nach ihrem Urteil hat religiöse Volkskunst einen eher geringeren Marktwert, weil es in dieser Kunstsparte in dieser Gegend noch sehr viele Objekte gibt.

Für beide Seiten "eine absolute Win-win-Situation"

Die Erfahrung, dass es bei dieser Sendereihe manche Überraschung gibt, hat Marcus Meyer, für die Serie zuständiger BR-Redakteur, immer wieder gemacht. Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit war der Auftritt einer Frau, die eine Porzellanplatte mit hochwertigem Motiv vor dem Sperrmüll gerettet und sich an "Kunst + Krempel" gewandt hatte. Das beeindruckende Ergebnis dieser Anfrage: Der Teller ließ sich auf 3000 Euro veranschlagen. Meyer betont allerdings, dass es bei Kunst + Krempel immer nur um Einschätzungen und keine konkreten Kauf-oder Verkaufsaktivitäten gehe - anders als bei Horst Lichters ZDF-Trödel-Show "Bares für Rares", in der Kunsthändler Objekte per Versteigerung jeweils sofort erwerben. Einig sind sich BR-Redakteur Meyer und Bürgermeister Ortlieb auf jeden Fall in einem Punkt: Die Veranstaltung habe eine positive Ausstrahlung auf den Ort Benediktbeuern und die Aktivitäten des Bayerischen Rundfunks bewirkt. Es sei für beide Seiten "eine absolute Win-win-Situation".

Die ersten beiden Sendungen von der Aufzeichnung im Kloster Benediktbeuern werden am Samstag, 10. Juni, und am Samstag, 1. Juli 2023, jeweils von 19.30 Uhr an im BR Fernsehen ausgestrahlt.

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