Süddeutsche Zeitung

Kampf gegen Krebs:"Sterben war nie eine Option"

Lesezeit: 4 min

Julia Sattelberger hat durch den Krebs eine Hand verloren. Nun hat die 22-jährige Frau aus Schäftlarn die Krankheit überwunden und sich mit ihrer eigenen Hundeschule einen Lebenstraum erfüllt.

Von Katharina Schmid, Schäftlarn

Wenn Julia Sattelberger mit ihrer Hündin spricht, wird ihre Stimme ganz hell. "Xalli, los jetzt, wir gehen!" Xalli springt auf, läuft die Treppe hinunter, es geht zum Hundetraining. Die sechs Jahre alte Labrador-Hündin ist Sattelbergers treueste Begleiterin, seit 2012. Die Hohenschäftlarnerin war 15, bei ihr war gerade Krebs diagnostiziert worden. Ihre Mutter erfüllte ihren sehnlichsten Wunsch und schenkte ihr einen eigenen Hund. Seitdem ist Xalli ein Fixpunkt in Julia Sattelbergers Leben. "Sterben war für mich nie eine Option", sagt die 22-Jährige. "Ich wollte nicht, dass Xalli alleine ist."

Wenn Julia Sattelberger die Geschichte ihres Lebens erzählt, klingt ihre Stimme tiefer. Nur selten stockt sie ein wenig, kaum hörbar ist das. Sattelberger spricht gefasst über ihr Leben, ohne Groll oder Verbitterung. Und das, obwohl ihr Leben, vor allem die Jugend, gezeichnet ist von einer langen Krankengeschichte, Fehldiagnosen, einer Krebserkrankung, großen Schmerzen, einer Amputation. Viel Stoff für ein erst 22 Jahre altes Leben. Heute - krebsfrei und um ihre linke Hand ärmer - sagt Sattelberger: "Wenn ich das nicht alles erlebt hätte, wäre ich jetzt nicht so glücklich."

Julia Sattelberger kommt in München zur Welt, zieht im Alter von drei Jahren nach Schäftlarn und wünscht sich schon als kleines Kind nichts sehnlicher als einen Hund. Mit sechs bekommt sie zwei Katzen. Eine Alternativlösung, die sich die Eltern für ihr tiervernarrtes Kind ausdenken. Eine dieser Katzen, Lilly, ist heute 16 Jahre alt. Sie kann die gleichen Kunststücke wie Hündin Xalli. "Sitzt, platz, dreh dich, Pfötchen geben, das macht sie alles", erzählt Sattelberger. "Sie war mein Hundeersatz."

Mit zehn Jahren beginnt das Mädchen, sich Pflegehunde in der Nachbarschaft zu suchen. Beim Spazierengehen klingelt sie überall dort an der Tür, wo ein Hund im Garten spielt. Aus Spaziergängen mit der Mutter werden Gassigänge mit Pflegehunden. Mit einem von ihnen beginnt sie Sport zu machen, Dogdancing, Tanzen mit Hund. Sie nimmt an Turnieren teil, geht auf Hundemessen, liest Sachbücher und schaut Dokumentationen. Julia Sattelberger ist das, was eine Hundenärrin genannt wird.

Dann werden die Schmerzen in ihrem linken Handgelenk immer stärker. Mit elf bekommt Sattelberger die Diagnose Rheuma. Sie ist falsch. Erst vier Jahre später stellen Ärzte fest, was ihr wirklich fehlt. Das Mädchen hat Krebs. Ein halbes Jahr ist Sattelberger vom Unterricht befreit, sie stürzt sich in die Erziehung ihres Welpen. Zwischen den beiden entsteht eine enge Bindung. "In die Natur gehen, mit dem Hund gemeinsam raus, das lässt viele Ängste leichter werden", sagt die 22-Jährige. "Ich hatte Todesängste. Und ich hatte Stress durch die vielen Arztbesuche." Die Beschäftigung mit Xalli habe sie den Krebs zumindest zeitweise vergessen lassen. Ihre Hündin bekommt alles mit, Angstattacken genauso wie tagelanges Weinen. "Aber wenn ich weine, das mag sie nicht, da läuft sie auf und ab. Deshalb hab ich oft überlegt, ob ich wirklich weinen soll."

Der Tumor im Handgelenk ist bösartig, extrem schlecht behandelbar und wenig erforscht. Weder Bestrahlung noch Chemo kommen für die Therapie in Frage. Die Familie kontaktiert Ärzte in Kanada, Japan, den USA, Sattelberger beschäftigt sich mit Immuntherapie, stellt ihre Ernährung um, beginnt zu meditieren. "Es war ein harter Kampf", sagt sie, "aber ich wollte immer weiter machen. Ich hatte nie den Gedanken, dass ich wirklich sterben könnte."

Trotz Erkrankung schafft sie den Abschluss an der Realschule in Wolfratshausen, arbeitet danach im Obst- und Gemüsefachhandel. Doch immer ist da der Wunsch, Hundetrainerin zu werden. "Verwandte und Bekannte haben gesagt, was sie immer sagen in so Fällen: Lern was G'scheit's!" Also beginnt Sattelberger 2015 eine Ausbildung zur Technischen Produktdesignerin. Täglich pendelt sie in den Norden von München, eineinhalb Stunden hin, eineinhalb zurück. Dazwischen liegen acht Stunden Arbeit, eine halbe Stunde Mittagspause. Dieses Leben bedeutet Stress. Im Februar 2017 wird es schlimmer mit dem Tumor. "Ich habe gemerkt, ich schaff' es nicht mehr. Wohnung, Freund, Hund, Arbeit - die Gesundheit stand da ganz hinten an." Und dass Xalli nicht mit zur Arbeit kann, macht ihr auch zu schaffen.

Eineinhalb Jahre wird Sattelberger im Februar 2017 krank geschrieben. Zuletzt wiegt sie noch 37 Kilo, und das bei einer Körpergröße von 1,72 Metern. "Ich hab' gegessen wie ein Scheunendrescher, aber der Krebs hat mich so viel gekostet." Tageweise denkt sie, dass Sterben einfacher wäre. Sie schreibt ihr Testament, sie spricht viel mit ihrem Freund, über den Tod und darüber, dass er ihr seine neue Freundin dann einfach an ihrem Grab vorstellen soll. Wenn die Schmerzen in der Nacht zu groß werden, fahren sie gemeinsam an den Starnberger See, warten auf den Sonnenaufgang. Xalli ist dabei und tröstet, wenn sie merkt, dass es ihr nicht gut geht. Das ist oft der Fall.

Schließlich entscheidet sich Sattelberger für die Amputation, die für sie "letzte Option". Im April 2018 findet der Eingriff im Klinikum Großhadern statt. Zwei Tage später wiegt sie zwei Kilo mehr. Es geht bergauf. Kurz vorher, "im letzten Urlaub vor der Amputation" in Oslo, hat sie sich mit ihrem Freund verlobt: "Der Ring gehört nun mal an die linke Hand." Im Sommer 2020 wollen die beiden heiraten.

Dass sie ihre Hand verloren hat, sieht Sattelberger heute als Chance. Als Chance, ihren Traum von der eigenen Hundeschule zu verwirklichen. "Weil als Produktdesignerin brauchst du zwei Hände." Also legt sie die Prüfungen zur Hundetrainerin ab und eröffnet im September 2018 ihre Schule: Rudel-Glück. Es läuft gut. Gerade sucht sie nach einem festen Trainingsgelände, irgendwann will ihr Freund einsteigen. Sie will vergrößern, verbessern, ein Hundezentrum ist die Zukunftsvision. "Wenn's nicht klappt, kann ich immer noch was anderes machen." Hauptsache, sie kann einen Job machen, der sie ausfüllt und selbstbestimmt leben. "Man sollte glücklich sein mit dem, was man hat, und sagen können: Es ist in Ordnung, wenn ich sterbe. Weil es schön war." Aus Sattelbergers Mund klingt dieser Rat nicht abgedroschen.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2019
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