Süddeutsche Zeitung

Kinderbetreuung in Bad Heilbrunn:Sonderbau Jurte

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Der Waldkindergarten im Bad Heilbrunner Ortsteil Mürnsee hat ein gemütliches mongolisches Rundzelt für nasse Tage. Genehmigt wurde es aber erst nach anderthalb Jahren.

Von Petra Schneider, Bad Heilbrunn

Jurten sind traditionelle Heimstätten der Nomaden in Zentralasien. Seit Sommer 2018 gibt es ein Rundzelt nach mongolischer Bauart nun auch im Bad Heilbrunner Ortsteil Mürnsee. Heimisch hat sich dort offenbar lange der Amtsschimmel gefühlt: Denn erst nach eineinhalb Jahren und diversen Prüfungen wurde die Jurte des Albert-Schweitzer-Waldkindergartens genehmigt. Sie dient den Kindern als Rückzugsort, wenn das Wetter zu garstig zum Draußenspielen ist. "Es war ein langer Weg, den wir beschritten haben", sagt Heiner Koch, Geschäftsführender Vorsitzender des Alber-Schweitzer-Familienwerks. Jurten gebe es seit Jahrtausenden in den unwirtlichsten Gegenden. Der bayerischen Bauordnung stand zu halten, ist aber offenbar eine besondere Herausforderung. Seit zwei Monaten liegt nun die Genehmigung des Landratsamts vor. Die Jurte des Waldkindergartens Mürnsee sei damit die erste in Bayern "und vielleicht sogar die erste in der gesamten Bundesrepublik", die eine Statik und eine Prüfstatik, ein Brandschutzkonzept und ein Prüfgutachten als Sonderbau habe, sagt Koch beim Rundgang am Montag schmunzelnd.

Es regnet in Strömen, die Kinder in bunten Matschanzügen und Gummistiefeln kümmert das nicht. Sie springen begeistert in die Pfützen, die sich auf dem Gelände neben dem ehemaligen Schulhaus gebildet haben, sitzen unbeeindruckt vom prasselnden Regen auf Baumstümpfen im Morgenkreis und singen ihr Lieblingslied vom Specht. Die nicht ganz so regenfesten Besucher sind indes froh, als sie von Kindergartenleiterin Veronika Bischoff in die Jurte gebeten werden.

Schon beim Eintreten macht sich Wohlgefühl breit: Ein kleiner Holzofen, der mit einer Absperrung gesichert ist, verströmt behagliche Wärme. Scherengitter aus gebogenem Holz bilden die Wände, die mit Filz- und Baumwollmatten verkleidet sind. Ein großes, rundes Plexiglasfenster macht den Raum hell. Eine Holztüre mit Musterausschnitt öffnet sich nach Süden, gegenüber ist eine zweite Tür, der Fluchtweg. Die Jurte mit einem Durchmesser von rund sechs Metern steht auf Holzpfosten, damit keine Feuchtigkeit vom Boden eindringt. Außen ist das Dach mit einer LKW-Plane zum Schutz vor Schnee und Regen abgedeckt, "ein oberbayerischer Kompromiss", wie Koch erklärt. Es gibt keinen Strom, demnächst wird eine Kompost-Toilette geliefert.

Eine Jurte sei ein wunderbarer Raum, weil die Kinder, anders als in einem Bauwagen, im Kreis sitzen könnten, sagt die Leiterin Bischoff. "Das ist ein ganz anderes Gruppengefühl". An einem ovalen Holztisch wird Brotzeit gemacht oder gebastelt. Aber nur, wenn es im Winter sehr kalt ist oder in Strömen regnet, durchschnittlich vielleicht 20 mal im Jahr.

Das Konzept eines Waldkindergartens fußt auf dem Naturerlebnis: Bei jedem Wetter draußen sein, kein vorgefertigtes Spielzeug, sondern Naturmaterialien, die die Fantasie anregen. Nicht für alle Eltern und Kinder sei das das richtige, sagt Koch, aber die Nachfrage steigt. In Benediktbeuern hat sich 2017 eine Elterninitiative gebildet, die einen Waldkindergarten gründen wollte. Zeitgleich habe sich der Bad Heilbrunner Bürgermeister Thomas Gründl an das Albert-Schweitzer-Familienwerk gewandt, sagt Koch, das auch in Penzberg, Bad Tölz und Lenggries Waldkindergärten betreibt. Man habe den Standort in Mürnsee als Gemeinschaftsprojekt realisiert, weil nicht sicher war, ob in den kleinen Gemeinden Benediktbeuern und Bad Heilbrunn die Nachfrage ausreiche.

Bürgermeister Gründl jedenfalls freut sich, dass es neben dem katholischen und evangelischen Kindergarten nun ein weiteres Angebot in seiner Gemeinde gibt. Mit dem Albert-Schweitzer-Familienwerk habe man einen "starken Partner", erklärt er. Toni Ortlieb sieht den Waldkindergarten als gelungenes Beispiel für eine interkommunale Kooperation. "Das ist ein sehr schönes Projekt mit Außenwirkung", sagt der Benediktbeurer Bürgermeister.

10 000 Euro hat die Jurte in Mürnsee gekostet, die sich die beiden Gemeinden teilen. Aktuell besuchen 19 Kinder den Waldkindergarten, darunter eines mit erhöhtem Förderbedarf, sowie Gastkinder aus Kochel und Bichl. Betreut werden sie von drei Erzieherinnen. Der Albert-Schweitzer-Waldkindergarten mit seiner Jurte ist von acht bis 13.30 Uhr geöffnet, für das neue Kindergartenjahr gibt es noch Plätze.

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Quelle:
SZ vom 10.03.2020
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